„Je früher sich Menschen vorbereiten, desto besser“
Mit der zweiten Denkwerkstatt Demenz fand im Rathaus eine Veranstaltung ihre Fortsetzung, mit der im Oktober 2021 erstmals mit Bürgerbeteiligung der Frage nachgegangen wurde, wie Menschen mit Demenz und deren Angehörige eine bessere Teilhabe und Akzeptanz in der Gesellschaft ermöglicht werden könnten. Viele spannende Rückmeldungen und Ideen wurden in diesem Rahmen gesammelt. Bei der zweiten Auflage galt es nun, ein Fazit aus knapp zwei Jahren Beteiligung am Modellprojekt Demenz im Quartier zu ziehen.
Der Erste Beigeordnete Otto Steinmann begrüßte die Gäste im Atrium des Rathauses und erläuterte die Projektidee. „Alles, was hier in diesen zwei Jahren geschehen ist, stand unter unserem Motto, das Thema Demenz in die Breite unserer Stadtgesellschaft hineinzutragen“, so Steinmann. Man habe zwar oft die Herausforderungen und Belastungen für die Betroffenen einer Demenzerkrankung und deren Angehörige gespürt. Zugleich sei es aber auch „berührend und bewegend“ gewesen, wie offen Betroffene über im Alltag auftretende Schwierigkeiten gesprochen hätten, betonte Steinmann. Im Rahmen dieses Projekts seien eine ganze Menge Ideen entstanden: Reiner Menges hat einen Stadtrundgang organisiert, im generationenübergreifenden Wohnen tauschen sich Betroffene in entspannter Café-Atmosphäre aus, es gibt Gesprächskreise und Filmangebote. Steinmann bedankte sich bei allen am Projekt Beteiligten für ihr ehrenamtliches Engagement und hob besonders die Steuerungsgruppe hervor. Außerdem galt sein besonderer Dank Andrea Münch, der Initiatorin des Projektes, „ohne die wir heute nicht so weit wären“.
Entscheidende Faktoren
Andrea Münch stellte den Verlauf des Projekts näher vor. Es sei zu Beginn vor allem darum gegangen, Wissen über die Krankheit zu vermitteln, um Verständnis zu schaffen. Für die Projektverantwortlichen habe im Vordergrund gestanden, für das Thema eine breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Das sei unter anderem durch Fortbildungen, Seminare, Treffen und Veranstaltungen gelungen. „Uns war es auch wichtig, andere Zielgruppen, wie etwa Schülerinnen und Schüler, in den Blick zu nehmen“, so Andrea Münch.
Außerdem sei es in den vergangenen zwei Jahren darum gegangen, vorhandene Angebote für von Demenz Betroffene transparent zu machen. Sie zählte damit die Themengruppen auf, die für die Umsetzung des Projekts entscheidend gewesen seien. Ein wichtiger Faktor sei zum Beispiel der Auf- und Ausbau eines Kooperationsnetzwerkes in Walldorf gewesen. Erfreulicherweise sei man damit „auf offene Türen gestoßen“, wie Andrea Münch rückblickend befand. „Die Strukturen sind gewachsen.“
An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben Andrea Münch noch Saskia Gladis von der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg, Thorsten Antritter, Geschäftsleiter des Pflegezentrums der Astor-Stiftung Walldorf sowie mit Reiner Menges ein betroffener Angehöriger teil.
Armin Rößler, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Walldorf, übernahm die Moderation. Im Verlauf der Diskussion wurde das Projekt aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
Offen mit dem Thema umgehen
Reiner Menges sprach offen über die Erkrankung seiner Frau. Keine Selbstverständlichkeit, wie er deutlich machte. Denn zu Beginn habe er das Thema lieber verheimlichen wollen, auch um seine Frau zu schützen. „Ich habe gelernt: Alles für mich zu behalten, ist falsch“, so Menges. „Ich möchte, dass die Menschen offen mit der Krankheit umgehen.“
Ob das Thema in Walldorf präsenter geworden sei, wollte Armin Rößler wissen. Für Andrea Münch ist das der Fall: Man habe regelmäßig über die Öffentlichkeitsarbeit das Thema eingebracht. Es sei auch durch viele Gespräche ins Bewusstsein gerückt.
Hürden abbauen
Das Projekt habe dazu beigetragen, „Hürden abzubauen und Ängste zu nehmen“, befand Thorsten Antritter. Er appellierte zudem: „Je früher sich Menschen darauf vorbereiten, desto besser.“ Saskia Gladis bewertete das Modell-Projekt aus Sicht des Trägers, der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg. Von Anfang an sei in Walldorf die Unterstützung da gewesen, ebenso die Bereitschaft, offen für neue Wege zu sein. „Walldorf hat einen super guten Ansatz präsentiert“, schilderte Saskia Gladis, warum die Stadt unter 33 Bewerbungen als eines von fünf Modellquartieren ausgewählt wurde. Walldorf habe zum Thema Demenz „Samen gesät, aus denen nun kleine Pflänzchen entstanden sind“, versinnbildlichte Saskia Gladis die Fortschritte im Projektzeitraum. Den Erfolg machte sie auch ausdrücklich an der Person Andrea Münch fest, die unter schwierigen Bedingungen – unter anderem die Corona-Pandemie – erfolgreich viele Menschen zusammengebracht hat.
Als wichtigste Erfolge machten die Teilnehmer aus, dass die Zeit investiert wurde, neue Strukturen wachsen zu lassen. Man habe es geschafft, der Schwere des Themas eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen. Außerdem seien Netzwerke entstanden, die Betroffenen zukünftig auch im Alltag helfen könnten. Aber auch die Hürden im Verlauf des Projekts wurden angesprochen: Thorsten Antritter etwa wünschte sich mehr Zuwendung zur Erforschung von Demenz und zur Medikation der Betroffenen. Andrea Münch machte in der Corona-Pandemie die größte Hürde aus. Man habe aber auch bei Schwierigkeiten stets lösungsorientiert gedacht. Saskia Gladis sah die positive Seite: „Ich denke, es ist uns gelungen, viele Hürden zu meistern.“
Austausch intensiviert
Nach der Podiumsdiskussion wurden die Gäste in Gruppen eingeteilt und waren dazu eingeladen, den Austausch über das Projekt zu intensivieren. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten und ihre Sicht auf das Projekt einzubringen.
Wie zum Beispiel Svetlana Fleischhauer, Pflegedienstleiterin im Astor-Stift, die eine Änderung der Haltung bei vielen Menschen gegenüber Demenzerkrankten wahrgenommen hat. „Früher reagierte man oft negativ auf Menschen mit Demenz, wenn sie in der Stadt bemerkt wurden. Das hat sich deutlich geändert. Ihnen wird nun oft geholfen, man kümmert sich um sie, man ruft bei uns an.“
Armin Rößler fasste anschließend weitere Erkenntnisse aus den Gruppen zusammen. Unter anderem wurde festgehalten, dass Informationen über das Projekt vor allem über die Presse wahrgenommen wurden, der Eindruck sich verfestigt habe, dass das Thema präsenter bei den Menschen sei, und über viele gute Erfahrungen berichtet wurde. Gelobt wurde die Beratung im Rathaus. Auch wurde der Eindruck widergegeben, dass die „Barriere in Walldorf gebrochen wurde“, man also leichter über das Thema Demenz sprechen könne.
Und was bleibt nun vom Projekt? „Wir werden dran bleiben am Thema, es entwickelt sich viel und auch das Netzwerk, das sich etabliert hat, wird weiter Bestand haben“, war sich Andrea Münch am Ende der Veranstaltung sicher.
Text und Fotos: Stadt Walldorf