Blick zurück in Wieslochs blühende Industriegeschichte
„Kulturverein Johann Philipp Bronner“ nimmt sich Zeitgenossen Bronners an – „Oral history“ hält Zeitzeugenberichte im Film fest. – Ausstellung und Publikation geplant
Der „Kulturverein J. Ph. Bronner“ hat sich in den vergangenen sieben Jahren der Sicherung der historischen Relikte Johann Philipp Bronners gewidmet. Dazu gehören das „Bronner´sche Gartenhaus“ und das Kulturdenkmal „Alter Friedhof“. Auch Bronners Testament und dessen Bitte, posthum für seinen Rosengarten zu sorgen, wurde durch die Neuanlage zweier Rosengärten und die Rosentaufe auf seinen Namen Rechnung getragen. Die „Original Johann Philipp Bronner“- Rose wird im Juni im Handel für jedermann erhältlich sein. Eine Promotionsarbeit der Pharmazeutin Dr. Tanja Lidy wurde ebenfalls vom Verein begleitet.
In der jüngsten Mitgliederversammlung des Vereins haben nun Vorstand und Mitglieder beschlossen, gemäß der Präabel der Vereinssatzung das Augenmerk auf Bronners Zeit, also das 19. Jahrhundert, zu richten.
Die Bestrebungen, die Johann Philipp Bronner bezüglich der Ansiedlung und Verbesserung des Weinbaus in Wiesloch unternahm, fanden bei einigen Wieslocher Honoratioren offene Ohren. So war Franz Koch, Bürgermeister in Wiesloch von 1817 bis 1820, dem Weinbau in Wiesloch äußerst gewogen, denn er selbst hatte eine Rebschule angelegt (auf Altwieslocher Gebiet „Hässel“ vor Errichtung der „Heil- und Pflegeanstalt“), die später von Bronner übernommen und erweitert wurde. Johann Philipp Bronner war demnach nicht der erste, der sich dem Wieslocher Weinbau angenommen hatte, jedoch war er derjenige, der dies am konsequentesten durchgeführt hatte.
Wer war Franz Koch und was bewog ihn, seine Rebschule an Bronner zu verkaufen?
Neben Bronner und seiner Familie, waren auch die Sippen Koch und Greiff im 19. Jahrhundert die steuerträchtigsten Bürger in Wiesloch, denn sie waren Kaufleute und Unternehmer. Sie hatten ihr wirtschaftliches Fortkommen in der Posthalterei und in der Gerberei gesucht und waren dadurch in Wiesloch zu Reichtum gekommen. Jacob David Greiff (1776 – 1865) war selbst Sohn eines Apothekers aus Sinsheim und war 1835 der höchst besteuerte Bürger Wieslochs. Freundschaftlich und verwandtschaftlich war man der Familie Koch verbunden. Später kam dann noch die Familie Steingoetter dazu, die in diesen Familienclan einheiratete und gemeinsam betrieb man eine Fabrik. Die Grabsteine der beiden Posthalter Greiff und Koch stehen im Kulturdenkmal „Alter Friedhof“ Seite an Seite an Bronners Grabstein. Man kannte sich schließlich in der Wieslocher Oberschicht des 19. Jahrhunderts.
Das Interesse des „Kulturverein J. Ph. Bronner“ wendet sich nun diesen Familien und Zeitgenossen Bronners zu und damit auch ihrem Gewerbe, nämlich der Gerberei und später der Schuhfabrikation. Die „Gerbereistraße“ und die „Steingoetter-Greiff-Straße“ sind die letzten Überbleibsel einer regen Leder-Manufaktur-Tradition in Wiesloch, an die sich kaum noch jemand erinnert.
Hier will das Projekt des Kulturvereins ansetzen. Mit dem Titel „Die Leder- und Schuhfabrikation in Wiesloch. Exemplarisch dargestellt am Beispiel der Vereinigten Leder- und Schuhfabrik Steingoetter-Greiff“ soll dieses Kapitel fast vergessener Stadtgeschichte wieder in Erinnerung kommen. Die Wasserkraft von Leim- und Angelbach war notwendige Voraussetzung zur Lederherstellung. Auch der Einsatz von Mühlen war dafür unabdingbar. Durch Eichenlohe-Gerbung wurden Häute aller Art haltbar gemacht. Ohne das Wasser der zwei Wieslocher Bäche wäre dies unmöglich gewesen.
Die Vorarbeiten zum Projekt begannen bereits 2015 und im Jahr 2016 nimmt das Projekt bereits feste Formen an. Dazu gehört eine Zeitzeugenbefragung, die von der Klasse WGW- E2 des Wirtschaftsgymnasiums der Johann-Philipp-Bronner Schule im Rahmen des Geschichtsunterrichts durchgeführt wurde. Die Zeitzeugen, allesamt ehemalige Mitarbeiter/innen der „Vereigten“, halfen mit ihren Erzählungen, Leben und Arbeiten rund um Gerberei und Schuhfabrik zu rekonstruieren. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Arbeitsweise der „oral history“ soll unter fachkundiger Leitung von Fachlehrer Christian Siefert dabei ein Film entstehen, welcher im Laufe des Jahres – parallel zu einer Ausstellung und einer Publikation – der Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Auch die Wieslocher Fotografin Carina Kircher ist in das Projekt mit einbezogen.
Die Mühe der Schüler/innen der Bronner-Schule wurde durch die Bereitschaft etlicher Zeitzeugen, vom Arbeitsalltag in der „Vereinigten“ zu berichten, belohnt. Als besonderer Zeitzeuge konnte auch Fritz Düppe aus der Nähe Stuttgarts nach Wiesloch eingeladen werden. Der Sohn des ehemaligen Geschäftsführers der „Vereingten“ hat hier seine Jugend verbracht und kennt alle Einzelheiten der Gerbung und Fertigung noch ganz genau. Bei einem kleinen Stadtrundgang anlässlich seines Besuchs erinnerte sich der 81-Jährige an „sein“ Wiesloch der fünfziger und sechziger Jahre und war erstaunt, dass vieles in der Stadt noch beim Alten geblieben und anderes völlig anders geworden ist.
Der Vorstand des „Kulturverein J. Ph. Bronner“ freut sich, dass das Projekt gerade im vergangenen Monat einen so starken Anlauf nehmen sollte. Dies ist auch der Verdienst der Schüler/innen der Bronner-Schule, ihrem Fachlehrer und der Schulleitung, schließlich wurde fast einen Monat lang nahezu jede Geschichtsstunde für die Vorbereitung der Zeitzeugenbefragung genutzt.
Auch die Vorsitzende des Vereins war beim Unterricht in der Schule dabei. Besonders gefreut hat sich der Verein, dass die Schüler selbst bestimmen konnten, ob sie bei diesem Projekt mitmachen wollten. „Es war schon berührend, als bei der Abstimmung so viele Hände für das Projekt nach oben gingen. Es freut uns, dass unser Bestreben, Wieslocher Stadtgeschichte auch für Jugendliche erfahrbar zu machen, eine solche Resonanz gefunden hat.“, lobt die Vorsitzende des Vereins, Karin Hirn.
Ihr besonderer Dank geht natürlich an alle Zeitzeugen, die älteste von ihnen ist 91 Jahre alt, und an jene, die mit ihrer Spende zum Gelingen des Projekts beitragen. „Spenden können wir natürlich noch gebrauchen,“, gibt sie zu. „ Durch dieses Projekt ist vieles Alte wieder ans Tageslicht gekommen. Dazu gehören viele Bilder, drei Paar Schuhe „Made in Wiesloch“ und atemberaubende Gemälde aus dem Salon der Steingoetters.
Auf all diese Dinge können sich die Bürger im Laufe des Jahres freuen, denn sie werden der Öffentlichkeit präsentiert werden.“ Zu guter Letzt wird es dann auch noch einen Gerber- und Familienroman geben. „Was für Lübeck die „Buddenbrooks“ ist, werden für Wiesloch vielleicht die „Steingoetters“ werden.“
Quelle: Text/Foto: Karin Hirn