„Vom Himmel hoch da komm ich her“
Am 7. Oktober gingen die neunten Walldorfer Musiktage mit einem besinnlichen Konzert zu Ende. Das diesjährige Festival stand ganz im Zeichen von Revolution und Evolution, und so durfte eine Veranstaltung zum aktuellen Reformationsjubiläum natürlich nicht fehlen.
Das Ensemble „Music for a While“ – besetzt mit Blockflöte, Viola da gamba und Orgel – hatte gemeinsam mit der Sopranistin Antonia Bourvé ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Auch der Veranstaltungsort war passend zum Thema gewählt: Das Gebäude der Neuapostolischen Kirche ist in der Barockzeit als reformierte Kirche errichtet worden.
Dr. Timo Jouko Herrmann, der künstlerische Leiter der Musiktage, führte auf unterhaltsame und kompetente Weise in das Programm mit dem Titel „Wer singt, betet doppelt“ ein. In Luthers Konzept einer volksnahen Kirche spielte die Musik eine besonders wichtige Rolle. Die von ihm propagierte Mitwirkung der Gemeinde am Gottesdienst schlug sich vor allem im gemeinschaftlichen Gesang nieder. Die Entstehung volkssprachlicher Strophenlieder für den Gottesdienst, sogenannte Luther-Choräle, war die logische Folge. Diese eingängigen und archaischen Melodien inspirierten im Laufe der Zeit immer mehr Komponisten. Neue Gattungen wie Choralbearbeitung oder Choralmotette entstanden. Im Fokus der ersten Programmhälfte standen vier Texte von Martin Luther, „Ein feste Burg ist unser Gott“, „Vater unser im Himmelreich“, „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ und „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘“. Diese Texte wurden in Vertonungen von zahlreichen Komponisten wie Michael Praetorius, Hans Leo Haßler oder Johann Hermann Schein in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. So ergaben sich reizvolle Gegenüberstellungen der unterschiedlichen musikalischen Sichtweisen auf die Texte des Reformators. Das kleine geistliche Konzert „O süßer, o freundlicher“ von Heinrich Schütz markierte einen ersten Höhepunkt protestantischer Kirchenmusik. In der zweiten Hälfte des Konzerts war man dann vollends auf dem Höhepunkt barocker Prachtentfaltung angelangt. Die vier Musikerinnen des Ensembles widmeten sich den barocken Großmeistern Telemann, Händel und Bach. Deren musikalisches Genie gelangte unter dem Einfluss der Lutherischen Lehren zu voller Blüte.
Das detailliert ausgearbeitete Programm ergab einen stimmigen Gesamteindruck. Die Sopranistin Antonia Bourvé musste an diesem Abend verschiedenste Stilrichtungen meistern. Die schlichten Choralmelodien trug sie mit klarer Stimme vor, ihre Koloraturen – etwa in Samuel Capricornus‘ „Salve Jesu summe bonus“ – perlten sanft. In der Arie „In gering- und rauhen Schalen“ aus dem „Harmonischen Gottesdienst“ von Georg Philipp Telemann entspann sich ein reizvolles Duett zwischen Sopran und Blockflöte. Ulrike Mauerhofer erfreute das Publikum im Anschluss daran mit einer Blockflötensonate von Georg Friedrich Händel, in der sie die ganze Bandbreite ihres Könnens präsentieren konnte. Sabine Kreutzberger überzeugte an der Gambe mit einem warmen, klangschönen Ton und einfühlsamem Spiel. Irene Müller-Glasewald erwies sich am Orgelpositiv als zuverlässige Begleiterin. Den Schluss des Programmes bildeten zwei Arien aus Kantaten von Johann Sebastian Bach. Das bis zuletzt hochkonzentriert lauschende Publikum bedachte die Künstlerinnen mit lang anhaltendem Applaus. Diese bedankten sich mit dem Spielmannslied „Aus fremden Landen komm ich her“ als Zugabe. Luther hatte dieser Melodie mit seinem neuen Text „Vom Himmel hoch da komm ich her“ zu Unsterblichkeit verholfen.
Die Walldorfer Musiktage überzeugen immer wieder durch ihre hervorragend konzipierten Programme und haben sich längst im Konzertleben der Region etabliert. Nach dieser gelungenen Saison und diesem schönen Abschluss kann sich das Publikum auf die Musiktage 2018 unter dem Motto „Dichter und Denker“ freuen.
Die neuapostolische Kirche, einst reformierte Kirche, war der inspirierende Aufführungsort des Konzerts
Sabine Kreutzberger, Irene Müller-Glaswald, Antonia Bourvé und Ulrike Mauerhofer spielten und sangen und „beteten damit doppelt“, wie der Titel des Konzerts verhieß
Text: Philipp Schädel für die Stadt Walldorf
Fotos: Pfeifer