Angelehnt an ein ursprünglich zur 1250-Jahrfeier der Stadt Walldorf geplantes Programm stehen bei den diesjährigen Musiktagen visionäre Klänge und klingende Visionen im Fokus.
Zum Auftakt am 23. September 2021 präsentiert das Duo Gambelin mit Lucile Boulanger und Christian Elin u. a. Werke von Ortiz, Sainte-Colombe, Bach und Elin. Das Duo bringt zusammen, was scheinbar weit voneinander entfernt liegt: Zum einen Instrumente, die sich historisch nie begegnet sind, und zum anderen musikalische Stile, zwischen denen gut drei Jahrhunderte Musikgeschichte liegen: In der faszinierenden Klangkombination von Gambe und Bassklarinette bzw. Saxophon treffen Renaissance- und Barockmusik auf Jazz und Avantgarde. Besonders in Christian Elins Eigenkompositionen treten verblüffende Ähnlichkeiten der Musizierpraxis von Barockmusik und Jazz zu Tage.
Das Stuttgarter Schönberg-Sextett bringt am 25. September Arnold Schönbergs wegweisendes Melodram Pierrot lunaire zur Aufführung. Die Komposition gilt heute als Schlüsselwerk der musikalischen Moderne, doch bei den ersten Aufführungen provozierte das visionäre Stück immer wieder Proteste. Während ein Teil des Publikums die neuartige Musik und innovative Textbehandlung mit „heftigen Ovationen“ pries, lehnte der andere Teil die visionäre Klangsprache ab. Heute schockiert dieses Werk kaum mehr, stattdessen fasziniert es durch seine raffinierte Formanlage, farbenreiche Klangkombinationen und die damals völlig neuartige Vermischung von Sprech- und Singstimme. Flankiert wird Schönbergs Opus von Kompositionen aus der Feder von Bernstein und Varèse.
Seit Jahrhunderten ist die von Glasinstrumenten ausgehende Faszination ungebrochen. Der unwirkliche Klang der mit befeuchteten Fingern angestrichenen Gläser hat Künstler wie Mozart, Goethe und Schiller begeistert, und besonders im Zeitalter der Empfindsamkeit erfreuten sich Glasinstrumente großer Beliebtheit. Der schwäbische Dichter Schubart nannte die Glasharmonika ein „tief rührendes melancholisches Instrument“, jedoch gab es auch Zeitgenossen, die der esoterisch-erotischen Aura des Glasspiels kritisch gegenüberstanden und eine gesundheitliche Gefährdung davon ausgehen sahen. Am 3. Oktober stellt der Mannheimer Musiker Andrés Bertomeu das auch Glasharfe genannte Verrophon vor. Bertomeu ist einer der wenigen professionellen Spieler dieses seltenen Instruments und tritt als solcher in ganz Europa auf.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde von Italien aus das Spiel auf dem Kontrabass mittels neuer Techniken revolutioniert, wodurch ganz neue Ausdruckswelten auf dem tiefsten Streichinstrument möglich wurden. Alexis Scharff, Solokontrabassist des Kurpfälzischen Kammerorchesters, präsentiert am 7. Oktober Werke rund um den italienischen Virtuosen Giovanni Bottesini, der maßgeblich für die Aufwertung des Kontrabasses als Solo- und Kammermusikinstrument verantwortlich war und dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird. Begleitet wird er von der preisgekrönten Pianistin Ekaterina Polykova, die sich neben dem Spiel auf dem modernen Flügel auch der Aufführungspraxis auf historischen Tasteninstrumenten widmet.
Den Abschluss der Musiktage bildet am 10. Oktober die Uraufführung von Timo Jouko Herrmanns Melodram Song of the Earth auf einen Text des jüdischen Emigranten Kurt Klein. Der 1920 im Walldorf geborene Klein flüchtete 1937 angesichts des zunehmenden NS-Terrors in die USA, wo bereits seine Schwester lebte. Sein Bruder folgte ihm 1938 nach. Trotz aller Bemühungen gelang es den Geschwistern nicht, ihren Eltern die Ausreise zu ermöglichen. Sie wurden 1940 nach Gurs deportiert und später in Auschwitz ermordet. Im Gedenken an seine Eltern schrieb Klein das Poem Song of the Earth, dessen Titel auf Gustav Mahlers Lied von der Erde anspielt. Es ist eine persönliche Meditation über die letzte Fotografie, die Klein vor seiner Auswanderung von seinen Eltern machte. Den Part des Rezitators übernimmt der US-amerikanische Tenor Joshua Whitener, der Ensemblemitglied des Mannheimer Nationaltheaters ist. Das Kompositionsprojekt wird durch ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert.
ÜBERSICHT
23. September 2021 19:30 Uhr Rathaus-Atrium
Der Zauber des Geruchs von Holz
Lucile Boulanger (Viola da Gamba/Lira da Gamba)
Christian Elin (Bassklarinette/Sopransaxophon)
25. September 2021 18:00 Uhr Astoria-Halle
…nicht Gedanken-, sondern Tonfreiheit!
SCHÖNBERG-SEXTETT
Monika Herzer (Sopran)
Sarah Schupp (Flöte/Piccolo)
Uschi Dahlhausen (Klarinette/Bassklarinette)
Matthias Neundorf (Violine/Viola)
Stefan Kraut (Violoncello)
Florian Kunz (Klavier)
3. Oktober 2020 18:00 Uhr Astoria-Halle
Glasmusik
Andrés Bertomeu (Verrophon)
7. Oktober 2020 19:30 Uhr Astoria-Halle
Vision d’Italie
Alexis Scharff (Kontrabass)
Ekaterina Polyakova (Klavier)
10. Oktober 2020 18:00 Uhr Astoria-Halle
Song of the Earth (Uraufführung)
Joshua Whitener (Rezitation & Tenor)
Ensemble Operone
Timo Jouko Herrmann (Leitung)
Eintrittspreise: 15 €, ermäßigt 12 € (Ermäßigungen gelten für Rentner, Studenten, Schüler)
Kartenvorverkauf in Walldorf:
- Rathaus Walldorf, Nußlocher Str. 45
- Bücher Dörner, Bahnhofstr. 8
- Zeltspektakel, Schwetzinger Str. (hinter dem Tierpark)
Kartenreservierung und weitere Informationen unter www.walldorfer-musiktage.de
Text: Stadt Walldorf
Sie stellten die Walldorfer Musiktage vor (v.l.): Erster Beigeordneter Otto Steinmann (Stadt Walldorf), Timo Jouko Herrmann, Heike Käller (Kultur und Sport Stadt Walldorf) (Foto: BBinz)