„Es zählt jede bewusste Vergabe“, sagte Dr. Andrea Schröder-Ritzrau (SPD), als sie in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats am 19. Juni einen Antrag ihrer Fraktion zum Beschaffungswesen der Stadt erläuterte.
Im November 2017 hatte die SPD-Fraktion den Antrag gestellt, die Stadt solle „die Voraussetzungen schaffen, dass Vergaben der städtischen Dienststellen und des Eigenbetriebs künftig nur unter Berücksichtigung sozialer und nachhaltiger Kriterien erfolgen können“. Über eine entsprechende Vergabe-Dienstanweisung hatte der Gemeinderat nun an diesem Abend zu entscheiden.
Wie Andrea Schröder-Ritzrau ausführte, wolle man mit der Anweisung einen weiteren wichtigen Schritt gehen, um konsequent an den umwelpolitischen Ansprüchen festzuhalten. Das städtische Beschaffungswesen habe erkennbare Auswirkungen auf den Markt. Gerechte Sozialstandards und Arbeitsbedingungen, die nicht krank machten, müssten beachtet werden.
„Fair, bio, regional“ habe bereits durch die Verleihung des Titels einer „Fairtrade-Stadt“ Eingang gefunden, doch fließe nur ein geringer Teil des Gelds, das die Stadt ausgebe, in diesen Bereich. Gerade bei Bauvorhaben müsse eine solche Dienstanweisung greifen. Als konkretes Beispiel nannte Schröder-Ritzrau das Thema Holz, da der Wald ja auch ganz oben auf der Walldorfer Agenda stünde. „Nutzen wir Holz aus nachhaltiger Herkunft?“ fragte sie. Insgesamt handle es sich um ein „komplexes Thema“, erklärte sie und man müsse in Rechtssicherheit handeln. Sie konstatierte auch, dass diese Vergabe-Dienstanweisung für die Verwaltung sicher mit Mehraufwand verbunden sei, da sie Kontrolle erfordere. Sie hoffe auf einen Konsens und bat bei Zustimmung um jeweils vierteljährliche Information, wie weit man sei. Um den Antrag noch zu untermauern, hatte die SPD-Fraktion die Stadt Karlsruhe angeführt als „Best-Practice-Beispiel“.
Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht, denn nach längerer Debatte, deren Ende Stadtrat Dr. Günter Willinger (FDP) schließlich erfolgreich beantragte, votierten die zwölf Ratsmitglieder von CDU und FDP gegen die neue Dienstanweisung, neun (SPD und Grüne) sprachen sich dafür aus und Bürgermeisterin Staab enthielt sich der Stimme.
„Mit dem Antrag der SPD-Fraktion sollen Ziele berücksichtigt werden, denen sich die Stadt größtenteils bereits verpflichtet hat“, erklärte Stadtrat Mathias Pütz (CDU). Ökologie und Nachhaltigkeit seien auch schon lange Diskussions- und Entscheidungsgrundlage von Gemeinderat und Verwaltung. Er sprach von einer „Übererfüllung von Standards“, der man in Anbetracht der Haushaltslage Walldorfs zustimme. Eine Vergabe-Dienstanweisung empfand er jedoch als „formelles Korsett“, das nicht nur die Verwaltung, sondern auch regionale und kommunale Anbieter unverhältnismäßig belasten würde. Die praktische Umsetzbarkeit sei schwierig, so Pütz. Das Karlsruher Modell überzeuge ihn nicht, sondern trage eher das Prädikat „Wischiwaschi“, meinte Pütz. Die CDU-Fraktion könne die angestrebten Vergabekriterien zwar mittragen, aber man solle sich „nicht unnötig abhängig machen und über Gebühr reglementieren“. Seine Fraktion könne daher nicht zustimmen.
„Ein bisschen enttäuscht“ zeigte sich Stadtrat Walter Hecker (Bündnis 90/Die Grünen). Seine Fraktion könne „voll umfänglich“ zustimmen, zumal das Land aktuell eine Schulungsoffensive zur nachhaltigen Beschaffung angeboten habe. Das Karlsruher Modell müsse man nicht unbedingt buchstabengetreu übernehmen, so Hecker, sondern könne es anpassen. Besonders lobend erwähnte er eine Passage der Karlsruher Vergabe-Dienstanweisung, in der es um die Bewertung von Wirtschaftlichkeit bei umweltverträglichen Leistungen geht. Hier wird vorgegeben, dass auch die „berechenbaren volkswirtschaftlichen Kosteneinsparungen, die durch die umweltschonenden Eigenschaften an anderer Stelle entstehen“, zu berücksichtigen seien. Man müsse sich diesen Fragen stellen und auch bedenken, dass der Kauf preiswerter Produkte auch bedeute könne, deren fragwürdige Herstellung zu unterstützen, erklärte Hecker. Die Betrachtung volkswirtschaftlicher und gesundheitlicher Folgen der Nutzung fossiler Energien gegenüber Solarenergie führte er in diesem Zusammenhang ebenfalls an. Er bat die CDU-Fraktion, ihren Entschluss nochmals zu überdenken.
Skeptisch zeigte sich Stadträtin Dagmar Criegee (FDP). Sie verwies auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in dem im Prinzip schon geregelt sei, „was wir durch die Vergabe-Dienstanweisung beschließen sollen“. „Warum müssen wir Grundsätze, die ja schon im Gesetz stehen, ein weiteres Mal beschließen?“ fragte sie. Im von ihr zitierten Gesetz heißt es, dass „Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt werden“ und weiterhin, dass „mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen“ seien. Sie wies darauf hin, dass Walldorf durch den Status als Fairtrade-Stadt, durch die Teilnahme am European Energy Award, durch den Beschluss des Klimaschutzkonzepts 2014, das Energiemanagement in öffentlichen Gebäuden, durch Carsharing sowie die vielfältigen Umweltförderprogramme sich schon verpflichtet und gezeigt habe, „dass wir bereit sind, alles zu tun, um nachhaltig zu wirtschaften und das nachhaltige Wirtschaften zu fördern“. Sie merkte auch an, dass es schwierig sei, solche übergreifenden Beschlüsse zu fassen, denn bei Bekanntwerden neuer Erkenntnisse habe man Probleme, die Beschlüsse wieder zu ändern. Als Beispiele führte sie die früher gefassten Beschlüsse an, auf öffentlichen Gebäuden keine Mobilfunkmasten aufzustellen und alle kommunalen Gebäude in Passivhausbauweise zu errichten. Die Passivhausbauweise bereite zum Beispiel Probleme, wenn es in dem Gebäude viele große Wärmequellen gebe. Bei der Verbindung von Smartphone und Mobilfunkmast wisse man inzwischen, dass die emittierte Strahlung stärker werde, je weiter die Geräte voneinander entfernt seien. Fairtrade sei gut, solange man die Umweltbilanz miteinbeziehe. Was aber einen weiten Weg zurücklegen müsse, sei wenig sinnvoll. Man solle sich „genau überlegen, ob man sich den Entscheidungsspielraum selbst nehmen und sich die Hände für die Zukunft binden wolle“, so Criegee. Sie sprach sich für eine Abwägung der Möglichkeiten aus und zu berücksichtigen, „was sinnvoll und vernünftig sei“.
Freiheit lassen
„Uns ist bewusst, was wir mit den Vergaben bewegen können“, erklärte Bürgermeisterin Christiane Staab, die mit den Werten der von der SPD geforderten Anweisung voll mitgehen konnte. Man brauche aber „eine gewisse Freiheit bei Entscheidungen“, so Staab, die daran erinnerte, dass man bei dem Vorhaben, nur fair gehandelte Grabsteine ohne Kinderarbeit auf dem Walldorfer Friedhof zulassen zu wollen, „krachend an die Wand“ gefahren sei. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Beschaffungen befasst seien, zu sensibilisieren, sah sie als sehr guten Weg an. Staab stellte außerdem fest, dass man in der Stadtverwaltung nicht die „Man- und Womanpower“ habe, um diese Arbeit und die notwendige Kontrolle zu leisten. „Diese Mehrarbeit können wir nicht stemmen, das können wir nicht leisten“, erklärte sie. Man habe bereits eine Steuerungsgruppe zur Beschaffung eingerichtet. Soziale und nachhaltige Kriterien bei der Beschaffung seien auch die Werte der Stadt, bekräftigte Staab, doch wolle sie nicht „innerhalb eines Korsetts“ entscheiden müssen. „Wir brauchen keine Dienstanweisung, über die wir dann vierteljährlich diskutieren“, schaltete sich Stadtrat Werner Sauer (CDU) nochmals ein. Die meisten Vergaben beträfen Bauvorhaben. Mit einer solchen Dienstanweisung seien der Stadt dann die Hände gebunden „Dürfen wir das und wer geht in die Kontrolle?“ fragte er. Die CDU-Fraktion stehe hier voll hinter der Verwaltung.
„Das trifft für mich nicht zu“, entgegnete Stadtrat Wilfried Weisbrod (Bündnis 90/Die Grünen). Er habe hier kein Vertrauen in die Verwaltung, da diese hier nicht handle, wie sich die Grünen das vorstellten. Denn in der Verwaltung habe man niemanden, „der Umweltschutz, soziale und nachhaltige Beschaffung zu seinem Steckenpferd auserkoren habe“. Es sei richtig, dass die Vergabe-Dienstanweisung ein Korsett sei. „Ein Initiator strahlt aber auf andere aus“, meinte Weisbrod.
„Wir machen viele gute Dinge“, stellte Andrea Schröder-Ritzrau fest, die aber die Regeln der Stadt offengelegt haben wollte. Es könne nicht sein, dass Walldorf angesichts seiner Wirtschaftskraft „es mal so, mal so“ mache. Fairen Kaffee zu kaufen, sei zu wenig. „Das ist Peanuts“, meinte sie. Da Bürgermeisterin Staab auf das personelle Problem eingegangen war, kündigte Schröder-Ritzrau an, dass sie den Antrag an die Schaffung einer neuen Stelle koppeln wolle. Günter Willinger forderte daraufhin das Ende der Debatte. Einen Antrag auf eine neue Personalstelle will die SPD-Fraktion in jedem Fall noch stellen, war von Andrea Schröder-Ritzrau noch zu hören.
Text: Stadt Walldorf