Ein Bericht von Inge Ottmann:
Angekommen in der Weihnachtszeit – aber wo angekommen im Leben?
Ganze sechs Monate sind nun schon ins Land gezogen seit unsere Flüchtlinge die Kreissporthalle in der Parkstraße bezogen haben und es ist mal wieder Zeit für einen kleinen Zwischenbericht mit ihnen. Es wird Weihnachten, es wird nass und kalt. Die letzten Monate waren oft regnerisch, die Tage kurz und dunkel. Die Bedingungen sein Leben in einer kleinen Turnhalle mit vielen anderen zu fristen somit oft schwieriger zu ertragen wenn man nicht weiß, wie es weiter geht und wie lange dieser Zustand noch anhalten wird.
Dennoch wage ich zu behaupten, dass dies vielen recht gut gelungen ist, trotz der angespannten Lebensverhältnisse. Und ich wage auch zu behaupten, dass dies nicht nur unseren Flüchtlingen selber sondern auch der großartigen Arbeit der Helfer vom Netzwerk Asyl zu verdanken ist. Ich denke, wenn nicht so viele Angebote zustande gekommen wären, mit denen man den jungen Männern Mut macht und zeigt, dass man MIT ihnen zusammen arbeiten möchte statt gegen sie wäre bei vielen der Frust und die Verzweiflung groß, denn nichts frustriert mehr als nur Ablehung zu erhalten und vor sich in einer Turnhalle hinzudümpeln ohne jegliche Lebensperspektive. Denn bisher hat soweit ich weiß noch keiner eine Antwort auf seinen Asylantrag erhalten, die Bearbeitungsdauer streckt sich oft auf über ein Jahr hinaus, manchmal sogar mehr.
Regelmäßig laden wir deshalb die Flüchtlinge zur Kontaktstunde mittwochs und samstags am Gymnasium in Wiesloch ein um schon mal auf Eigeninitiative die Integration voranzutreiben, vorzuleben. Mehr und mehr wuchs das Vertrauen zwischen uns allen und auch so einige andere Aktivitäten außerhalb der Schule, die das Netzwerk Asyl oder Firmen und Vereine eingeleitet hatten wurden mit Freude angenommen. Es war schön zu sehen wie sich viele z.B. über die Spenden von alten Laufschuhen freuten und auch intern hörte ich von dem ein oder anderen: Ich geh jetzt regelmäßig laufen, sonst werd ich hier im Winter in der engen Halle verrückt . Und bevor nun wieder die Stimmen laut werden : „Die sollen gefälligst arbeiten gehen!„ sei gesagt: Bereits legal arbeiten zu gehen ist ohne anerkannten Asylantrag und ohne die entsprechenden Deutschkenntnisse fast noch unmöglich – dazu legt die deutsche Bürokratie dann doch noch viel zu viele Hürden den jungen Männern in den Weg. Auch die Angebote mit uns Ehrenamtlichen deutsch zu üben werden oft sehr gern angenommen und mit dem ein oder anderen sind Gespräche in unserer Landessprache immer besser möglich. Wir haben in Eigeninitiative Ausflüge auf’s Heidelberger Schloss und den Weihnachtsmarkt dort organisiert und so den überwiegend muslimischen Afghanen z.B. mal diesen Teil unserer Kultur näher gebracht. Die jungen überwiegend christlichen Eryteär durften beim Weihnachtssingen in Wiesloch mit Schülern der Gerbersruhschule gemeinsam auf dem Markt dort musizieren und es ist immer wieder eine Wohltat auch in unseren Kontaktstunden zu sehen, dass es SEHR WOHL möglich ist Muslime und Christen friedlich an einen Tisch zu bekommen und man sich schlicht und einfach auf komplett andere Dinge wie Religion konzentriert.
Unser Bild zeigt einen Teil der Ausflügler auf unserem Weg zum Heidelberger Schloss. Es war schön alle abends so fröhlich zu sehen nach unserer Rückkehr und sie haben sich vielmals bedankt, dass wir ihnen diese Sehenswürdigkeit Heidelbergs gezeigt haben. Frische Luft, lockere Atmosphäre, draußen herumalbern…das tat letztendlich allen gut :-).
Dennoch spüre ich oft bei dem ein oder anderen wie die Traurigkeit vor allem nachts zurück kommt (auf Grund der Lautstärke in der überfüllten Halle ist es oft nicht möglich vor 3 oder 4 Uhr nachts dort in Ruhe zu schlafen) und sehe es an postings z.B. über facebook wenn die Erinnerungen an Krieg, Verwüstung und die Angst um Familie und Freunde zurück kommt oder in den news z.B. mal wieder von neuen Angriffen der Taliban berichtet wird in Afghanistan. Ich habe in den letzten Wochen viel dazu gelernt über dieses Land, welches mir früher nur durch Meldungen im TV über unsere Bundeswehreinsätze bekannt war. Gerade für die Afghanen, bei denen die Anerkennungsquote für ihre Anträge etwas niedriger liegt wie beispielsweise bei den Irakern und Syrern und Erytreärn ist dieser Zustand des „Wo bin ich nun angekommen im Leben und kann ich hier bleiben?“ sicher oft noch schwieriger zu ertragen. Umso mehr wünsche ich mir von unserer Wieslocher Bevölkerung den Kontakt zu den jungen Männern um hoffentlich mehr und mehr Menschen davon zu überzeugen, dass dies keine „feigen Desserteure“ sind, sondern dass du in diesem Land besonders in den ländlichen Gebieten leider oft nur 2 Möglichkeiten hast: Entweder du machst mit bei der Taliban oder du hast ein Messer am Hals. Somit war für viele die Flucht der einzige Ausweg, die Familie ist oft in alle Lande verstreut.Verwandtschaft hat Unterschlupf angeboten, die jungen Männer werden aus Sicherheitsgründen von den Eltern oft selber weg geschickt in der Hoffnung, dass sie im Westen auf ein besseres Leben stoßen. Ob und wie das hier in Europa gelingen wird (egal mit welcher Nationalität auch immer) hängt viel davon ab wie bereit wir Westler sind diese Menschen mit an unserem Leben teilhaben zu lassen. In wie weit wir bereit sind von unserem vielleicht durch die Medien oft eingefahrenen Denken abzukommen und uns zu öffnen für Neues. Beidseitig. Und sowas gelingt nur indem man aufeinander zugeht. Für uns Helfer wird es auf alle Fälle sicher nicht der letzte Ausflug gewesen sein, den wir mit Flüchtlingen machen.
Derzeit weiß ich zwar bei den Kontaktstunden manchmal nicht mehr, welche Sprache nun gerade links und recht von mir gesprochen wird, da wir einen Mix aus Farsi, Pashto (persisch in Afghanistan) und Arabisch und Kurdisch (Nordirak) mit der Sprache der Erytreär (heißt die jetzt eryträisch? 😉 ) hören, aber für mich ist das „gelebte Sprachwissenschaft pur“ und macht mir unheimlich viel Spaß. Mit Hilfe von Bildwörterbüchern und anderen Hilfsmitteln aus dem Internet klappt es sogar ohne Dolmetscher einen Zugang zueinander zu finden. Auch social media wie facebook trägt enorm dazu bei, dass man bei den postings der Menschen erkennt, was in ihnen vorgeht, was sie berührt und dass sie sich letztendlich auch nur Frieden wünschen. Wenn ich manchmal nicht mehr weiter weiß wie ich jemand etwas erklären soll, so hol ich mein smartphone aus der Tasche, google den Begriff und zeige ihnen ein Bild und dann kommt das „ahhhhhh“ und wir lachen uns an, da wir sehen: „JETZT hat es klick gemacht“ .
Auch wenn wir die Sprache des anderen noch nicht so gut verstehen, irgendwie„verstehen wir uns“ dann letztendlich doch;-). Denn wie sagt man so schön: „Wo ein Wille ist ist ein Weg!“ ;-). Ein Lächeln, ein aufeinander zugehen ist der 1. Schritt und das Netzwerk Asyl ist mit seiner großartigen Arbeit nun schon viele viele viele Schritte weiter.
In diesem Sinne wünsche ich allen ein friedliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Hoffentlich mit einem friedlichen MITeinander, auch in Bezug auf 2016 denn ich kann diese Negativmeldungen morgens im Radio „In XYZ hat wieder eine Flüchtlingsunterkunft gebrannt“ nicht mehr hören!
Dass wir vor einer sehr großen Herausforderung in Europa stehen bei so vielen Neuankömmlingen und es nicht einfach wird diese zu meistern, das steht außer Frage. Aber dass wir es nur mit einem MITeinander statt einem Gegeneinander schaffen können ist hoffentlich allen genauso klar!
21.12.2015