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Von der Nachkriegszeit bis zur „Pfarrhaus-Republik“

8. Dezember 2015 | Das Neueste, FDP südl. Bergstraße

Dr. Kristian Buchna referierte zum politischen Protestantismus in der Bundesrepublik

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v.l.: Ulrike Mack-Vogel (2. Vorsitzende der Christlichen Liberalen), Pascal Kober (stv. Vorsitzender der FDP Baden-Württemberg), Dr. Kristian Buchna (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus Stuttgart), Jürgen Abt (FDP-Landtagskandidat im Wahlkreis Wiesloch), Helga Bender (Schatzmeisterin der Christlichen Liberalen), Jörg Diehl (1. Vorsitzender der Christlichen Liberalen), Judith Skudelny (Generalsekretärin der FDP Baden-Württemberg)

Wiesloch. „Der Protestantismus prägt die politische Kultur der Bundesrepublik tatsächlich in einem Maße, wie es seit ihrer Gründung bislang kaum einmal der Fall war.“ Dies erklärte Dr. Kristian Buchna beim zum Beginn des Kirchenjahres stattfindenden Neujahrsempfang der Christlichen Liberalen – Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Theodor-Heuss-Stiftung Stuttgart befasste sich mit der Frage „Sag: Wie hast Du’s mit der Politik? Zum politischen Protestantismus in der Bundesrepublik“. Mit dem ehemaligen Pfarrer Joachim Gauck als Bundespräsident und mit der Pfarrerstochter Angela Merkel als Bundeskanzlerin habe Deutschland sich zu einer „Pfarrhaus-Republik“ entwickelt, sagte Buchna.

Dies bedeute, dass an der Staatsspitze protestantisch-pfarrhäusliche Tugenden vertreten seien, nämlich Verantwortungsbewusstsein und Leistungsethik, Unbestechlichkeit und Bescheidenheit.

Vier Schneisen zog Kristian Buchna in seinem Vortrag durch die Geschichte der Bundesrepublik, um Charakteristika und Weichenstellungen des politischen Protestantismus deutlich zu machen.

Von der Nachkriegszeit über die „68er“ und die Wende von 1989/90 bis zur vierten Schneise, der heutigen „Pfarrhaus-Republik“, ging er auf das Verhältnis von Kirche, Religion und Politik ein. So gründete sich im August 1945 die EKD als organisatorisches Dach der damals 28 evangelischen Landeskirchen. Buchna erinnerte an ein Leitmotiv der EKD-Gründer: „Das furchtbare Ergebnis der vergangenen zwölf Jahre hat weiten Kreisen innerhalb und außerhalb der deutschen Kirchen die Augen dafür geöffnet, dass nur da, wo Grundsätze christlicher Lebensordnung sich im öffentlichen Leben auswirken, die politische Gemeinschaft von der Gefahr dämonischer Entartung bewahrt bleibt“.

Als einzige intakte Großorganisationen hätten die Kirchen zu einem guten Teil jene Lücken gefüllt, die durch den staatlichen Zusammenbruch 1945 entstanden waren – ob als caritative Dienstleister, als Anwalt der deutschen Bevölkerung oder auch als Ansprechpartner für die Besatzungsmächte.

Und Theodor Heuss habe als württemberg-badischer Kultminister wie auch als Bundespräsident den Aufbau und die Programmarbeit der Evangelischen Akademien nach Kräften unterstützt. Denn Heuss sei überzeugt gewesen, dass dort „der Prozess der Integration eines neuen Staatsgefühls stärker und nachhaltiger besorgt wird als von den rein staatlich in die Welt gesetzten Versuchen“, erklärte Buchna.

Demokratisierung, Liberalisierung, Individualisierung und Pluralisierung seien wesentlich für „68“ gewesen, das Buchna nicht nur als feste Jahreszahl, sondern als Symbol für einen gesellschaftlichen und mentalen Umbruch verstand.

Dies habe die Religionsgemeinschaften vor enorme Herausforderungen gestellt, denn tradierte konfessionelle bzw. kirchliche Denk- und Lebensweisen hätten an Verbindlichkeit verloren. In jener Zeit sei ein Linkstrend des Protestantismus und der evangelischen Kirche allgemein wahrzunehmen gewesen.

Die EKD habe in Denkschriften zu zahlreichen gesellschaftlichen und politischen Themen der Zeit Stellung bezogen, etwa zur „Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung“, zur Verständigung mit Polen in der sog. „Ostdenkschrift“ von 1965 oder auch zu Fragen der Sexualethik.

Kirchentage, insbesondere der neu geschaffene „Markt der Möglichkeiten“, hätten sich zu Plattformen der politischen Auseinandersetzung entwickelt, sagte Buchna.

Beim Umbruch von 1989 habe die die Bürgerrechts- und Oppositionsbewegung ihren wichtigsten Kristallisations- und Kommunikationsraum in den evangelischen Kirchen gefunden. „In diesen zumindest halbwegs von staatlichen Zugriffen geschützten Räumen entwickelten sich zum einen Netzwerke, zum anderen alternative, teiloppositionelle Kommunikationsformen“, sagte Kristian Buchna.

Die protestantische Grundierung der Bewegung habe sich insbesondere in den Friedensgebeten und Mahnwachen gezeigt. Nicht übersehen werden dürfe das Ziel einer Mehrheit der Bürgerrechtler, die in der evangelischen Kirche eine Aktionsplattform gefunden hatten: Diese hätten weder eine Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik noch eine kapitalistisch-marktwirtschaftliche Rosskur angestrebt, sondern den „dritten Weg“ einer reformierten DDR gesucht.

Eine „protestantische Revolution“ jedoch sei die Wende von 1989 kaum gewesen, weil die Mehrheit derer, die da zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, keine Protestanten, sondern Konfessionslose waren.

Darin zeige sich auch der nachhaltigste „Erfolg“ des SED-Regimes, die systematisch betriebene Entchristlichung der Bevölkerung. Der protestantische Beitrag zur friedlichen Revolution sei es gewesen, Möglichkeitsräume der kontroversen Diskussion zu schaffen, pluralistische Verhaltensweisen auszuhalten, Gewaltlosigkeit einzufordern und demokratische Verfahrensformen mitzutragen.

Die Gegenwart sah Buchna gekennzeichnet von „einer massiven Krise des politischen Katholizismus“, der kaum mehr in der Lage sei, Themen zu setzen oder auch nur profiliertes Personal hervorzubringen.

Katholische Politiker hätten Vertreter eines politischen Katholizismus haben im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend den Rückhalt der Amtskirche verloren, die als Gralshüterin der wahren Lehre kaum mehr zukunftsweisende Initiativen zur Mitgestaltung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen entwickelt habe.

„Ob das mit viel Demut und Reformeifer angetretene Pontifikat des jesuitischen Papstes Franziskus einen Wendepunkt auch für den politischen Katholismus markieren wird, kann erst die Zukunft zeigen“, erklärte der Referent. Hinter der auffälligen Dominanz protestantischer Politiker und Kandidaten dürfte, so Buchna, nicht zuletzt die unausgesprochene Hoffnung stehen, dass mit ihnen protestantisch-pfarrhäusliche Tugenden gelebt würden, nämlich Verantwortungsbewusstsein und Leistungsethik, Unbestechlichkeit und Bescheidenheit.

Jörg Diehl, der 1. Vorsitzende der Christlichen Liberalen, dankte Dr. Kristian Buchna herzlich für seinen interessanten Vortrag.

Zuvor hatte die zweite Vorsitzende Ulrike Mack-Vogel einen Gottesdienst für die Besucher in der Kirche St. Laurentius Wiesloch gehalten. In einem Grußwort stellte Wieslochs Erster Bürgermeister Ludwig Sauer den Besuchern die Attraktionen und Vorzüge der Weinstadt vor.

FDP-Landesgeneralsekretärin Judith Skudelny betonte die Bedeutung und die positive Rolle der Christlichen Liberalen für die Freien Demokraten. Und Landtagskandidat Jürgen Abt unterstrich, dass die FDP die einzige Partei sei, die fest zur Freiheit stehe.

Abt wies auf den Brief des Apostels Paulus an die Galater hin: „So steht nun fest in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in ein Joch der Knechtschaft spannen!“

 

Quelle: Christliche Liberale

 

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