Visionär ging es auch in der vierten Veranstaltung der diesjährigen Walldofer Musiktage in der Astoria-Halle zu.
Im Mittelpunkt stand ein Instrument, das den meisten nur zur Grundierung des Orchesterklangs bekannt sein dürfte: Der Kontrabass. Das Publikum kam in den Genuss, das tiefste und größte Instrument der Streicherfamilie von einer ganz anderen Seite kennenzulernen, nämlich als agiles Virtuoseninstrument.
Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter der Musiktage sowie Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, war es gelungen den Kontrabass-Virtuosen Alexis Scharff zusammen mit der Pianistin Ekaterina Polyakova für die Musiktage zu engagieren.
Scharff beeindruckte nicht nur mit seinem Kontrabass-Spiel, sondern führte das Publikum auch mit französischem Charme durch das Programm und versorgte es mit vielen interessanten Informationen über Komponisten und Werke. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde von Italien aus das Spiel auf dem Kontrabass mittels neuer Techniken revolutioniert. Dadurch entstanden völlig neue Ausdruckmöglichkeiten und somit konnte der Kontrabass auch als Solo- und Kammermusikinstrument zum Einsatz kommen.
Maßgeblich verantwortlich für diese Aufwertung des Kontrabasses war der italienische Komponist und Kontrabass-Virtuose Giovanni Bottesini, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr begangen wird. In seinen kammermusikalischen und konzertanten Werken spielt der Kontrabass die Hauptrolle. Der Romantiker Bottesini wurde von Zeitgenossen wegen seines virtuosen Spiels auch als Paganini des Kontrabasses bezeichnet.
Alexis Scharff verblüffte die Zuhörer gleich zu Beginn des Konzertabends mit den ungewöhnlichen und wunderbaren Tönen, die er seinem großen Streichinstrument entlockte. In Bottesinis Fantasie über Motive aus Bellinis Oper „La sonnambula“, eine der damals üblichen Opernparaphrasen, ließ er den Kontrabass zeitweise wunderbar anrührend wie ein Cello singen, dann wiederum glaubte man sogar eine Bratsche oder Geige zu hören. Bis an das Ende des Griffbretts wanderten seine Finger und entlockten dem Bass ganz unerwartete Töne, die bis in allerhöchste Sopranlagen reichten. In atemberaubender Geschwindigkeit wechselte Scharff die Lagen und verblüffte die Zuhörer mit den vielseitigen Ausdrucksmöglichkeiten seines Instruments.
Eine kongeniale Partnerin war ihm dabei Ekaterina Polyakova am Flügel. Mit großen Ausdruck und Einfühlungsvermögen entlockte sie dem Estonia-Flügel die schönsten Töne. Bewunderte man ihr Piano-Spiel, dann verblüffte sie das Publikum gleich darauf mit einem noch leiseren und feineren Pianissimo. Die dynamische Bandbreite ihres Spiels war absolut faszinierend. Die Interaktion der beiden herausragenden Musiker war perfekt, organisch und inspirierend. Ein wunderbares Zwiegespräch entstand, bei dem jeder die nötigen Freiheiten zu gestalten und sich auszudrücken hatte. Zusammen ergaben sie ein harmonisches Ganzes.
Ebenfalls ein bedeutender Kontrabass-Komponist und selbst einer der ersten Kontrabass-Virtuosen, der beim Publikum Kultstatus genoss, war der Italiener Domenico Dragonetti. Mit seinem Andante und Rondo wurde dem Publikum ein Blick zurück in die Zeit der Wiener Klassik gewährt. Kantabel ließ Scharff seinen Kontrabass im ruhigen Andante in tiefen Lagen wie ein Cello singen. Die gefühlvolle Melodie ging zu Herzen. Das beschwingte Rondo floss fröhlich dahin und verbreitete gute Laune. Dragonettis Musik ist durchaus virtuos, anders als Bottesini beschränkt er sich jedoch eher auf die tiefen Lagen des Kontrabasses.
Ein besonderer Höhepunkt waren Elegie und Tarantella von Bottesini, die als Block gespielt wurden. Anrührend, klangschön und wunderbar kantabel brachten die beiden Musiker die romantische Elegie zu Gehör. Hier war Zurücklehnen und Genießen angesagt.
Einen ganz anderen Charakter hatte die Tarantella, die zu Beginn mit einem hochvirtuosen Kontrabass-Solo mit vielen hohen Flageolett-Tönen beeindruckte. Danach wurde es furios. Bei den schnellen und atemberaubend sich drehenden Triolenfiguren konnte man sich gut vorstellen, wie der von der Tarantel Gebissene bis zur völligen Erschöpfung tanzt und somit das Gift der Spinne aus seinem Körper treibt.
Mit Guiseppe Maria Marangonis Tarantella stand ein weiterer „Spinnentanz“ auf dem Programm, der deutlich moderner klang und eine rhapsodische Struktur aufwies. Die Einleitung des volkstümlichen Werkes basiert auf einen Carillon. Polyakova entlockte dem Flügel regelrechte Glockenschläge, die nach und nach verklangen. Mit einem Tusch betrat eine schöne, aber eifersüchtige Italienerin die Bühne. Die wunderschöne Kontrabass-Melodie wurde immer wieder ganz plötzlich von heftigen krachenden Dissonanzen unterbrochen. Das atemberaubende furiose Finale versetzte die Zuhörer in Begeisterung, welche sie mit etlichen Bravo-Rufen zum Ausdruck brachten.
Die folgende Sonata „in stile antico“ des italienischen Komponisten und Kontrabassisten Isaia Billé ist typisch für die Anfang des 20. Jahrhunderts von vielen Musikern komponierten neobarocken Werke. Seit den 1950-iger Jahren war dieses Werk in Europa nicht mehr aufgeführt worden, denn die Noten waren in Europa nicht mehr aufzufinden. Scharff entdeckte sie schließlich glücklicherweise in den USA. Eine komplizierte Harmonik, unerwartete Kontrapunkte und das höchst anspruchsvolle Spiel „in den letzten Lagen“ zeichnet diese Komposition aus. Mit tiefen Empfinden erklang das ruhige Larghetto. Die polyphone, virtuose Klaviereinleitung im Fugato erinnerte an Bachs „zweistimmige Inventionen“. Im Adagio ließ Scharff sein Instrument mit einer anrührenden Melodie in allerhöchsten Sopranlagen singen. Der Kreis schloss sich mit dem „Grande Allegro di Concerto alla Mendelssohn“ von Bottesini, einem virtuosen und leidenschaftlichen Werk. Hier spiegelte Bottesini Mendelssohns emotional-brillante Gestik ins tiefte Streicherregister und erschuf einen faszinierenden, düsteren Doppelgänger von dessen Violinkonzert.
Begeisterten Applaus gab es am Ende für dieses außergewöhnliche und hochkarätige Konzert. Die beiden sympathischen Künstler hatten das Publikum nicht nur mit ihrer großen Musikalität, ihrer enormen technischen Souveränität und ihrem wunderbaren Zusammenspiel beglückt, sondern auch mit Witz und Charme. Die zu Herzen gehende Elegie von Bottesini gab es noch einmal als Zugabe mit auf den Nachhauseweg.
Text: Carmen Diemer-Stachel
Fotos: Helmut Pfeifer