Das vorzeitige Ende der allgemeinen Impflicht beschäftigt die Gesundheitspolitik. In der Pflege gibt es viel Unverständnis. Schließlich müssen die Mitarbeitenden in Pflege- und Altenheimen geimpft sein, um Ihren Job weiterhin ausführen zu können. Besucher benötigen aber keine Covid-Impfung. Nach Ansicht von Experten fehle es nun an einem wichtigen Baustein zum Schutz von vulnerablen und älteren Mitmenschen. Wohlfahrts- und Interessenverbände zeigen sich alarmiert.
Gefahren für Vulnerable
Bernd Meurer ist der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter (BPA) sozialer Dienste. Im Gespräch mit der FAZ weist er auf die großen Ansteckungsgefahren für alte und verletzliche Personen hin. Solange ein Teil der Bevölkerung ungeimpft sei, bestünden große Risiken. Jede Dritte Pflegeeinrichtung gehört nach Angaben des Verbands zu den Mitgliedern des Verbands.
Ähnliche Befürchtungen gibt es auch bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO). „Dass die Politik jetzt die Zügel aus der Hand gibt, geht zulasten vulnerabler Gruppen, das heißt älterer, kranker und aus anderen Gründen besonders gefährdeter Menschen“, sagte eine Sprecherin. Die Vertreterin des deutschen Wohlfahrtsverbands appellierte an die Politik, den eingeschlagenen „Irrweg zu verlassen“.
Es gehe darum, sich wieder an den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft zu orientieren, betonte die AWO-Sprecherin. Insbesondere da auch Wegfall der 3G-Prüfung an immer mehr Orten durchgesetzt wird.. Schließlich habe schon die ehemalige Bundesregierung versprochen, den Schutz von Schwachen und Alten nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Erwartung müsse auch die neue Regierung erfüllen, hieß es aus Kreisen des Verbands.
Die Arbeiterwohlfahrt hatte sich im Vorfeld, wie Vertreter von weiteren Wohlfahrtsverbänden, für die Einführung einer allgemeinen Impflicht eingesetzt. Vor der Abstimmung war diese als Ausweg aus der pandemischen Situation gefordert wurden. Dass es die „allgemeine Impflicht jetzt“ geben müsse, sagte beispielsweise Rifat Fersahoglu-Weber, der als Vorstandsvorsitzender des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig tätig ist. Es ginge um eine langfristige gesellschaftliche Perspektive anstatt eines Springes von Welle zu Welle, fasste der Vorstandsvorsitzende die Position der AWO in Niedersachsen zusammen. Dort ist die Enttäuschung über das Abstimmungsverhalten recht groß.
Bedauern von Krankenhausgesellschaften
Derweil bedauert die saarländische Krankenhausgesellschaft das Scheitern der allgemeinen Impflicht. Christian Braun, der Vorsitzende der Vereinigung, betont gegenüber Pressevertretern, dass die beste Waffe zur Bekämpfung der Pandemie durch die Entscheidung im Bundestag aus den Händen gegeben wurde. Nun fürchtet er, dass die erreichte Impfquote nicht genüge, um die Eindämmung der Pandemie zu erreichen. Braun warnt, dass den Mitarbeitenden in Krankenhäusern wahrscheinlich ein schwerer Herbst bevorstehe.
Noch deutlichere Worte fand der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP). Die Vereinigung zeigte sich aufgrund der Ablehnung der allgemeinen Impflicht empört. Nach Ansicht des DEVAP-Vorsitzenden Wilfried Wesemann seien die sachlichen Lösungen zur Impflicht den „parteitaktischen Überlegungen“ geopfert worden. Zuvor habe die Pflege mit einer an vielen Orten bei weit über 90 Prozent liegenden Impfquote bewiesen, dass sie Verantwortung übernimmt. Dass man nun nur von Pflegekräften eine Impfung verlangt und nicht von der restlichen Bevölkerung, wird sicherlich nicht dazu führen, dass mehr junge Menschen sich für Jobs als Gesundheits- und Krankenpfleger interessieren.
Allerdings könne „nur eine allgemeine Impflicht die aktuelle Infektionswelle brechen und eine neue Welle im Herbst verhindern“, sagte Lindemann. Das Versprechen von Kanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach, dass der einrichtungsbezogenen Impflicht eine allgemeine Regelung folgen würde, habe sich leider nicht erfüllt. Dies bezeichnet der DEVAP-Vorsitzende als Vertrauensbruch von Seiten der Politik gegenüber der Pflegebranche.
Von der Politik im Stich gelassen?
Die Politik trage nun „die Verantwortung für eine weitere Infektionswelle“, wodurch Lücken in Dienstplänen entstehen würden, sagte Lindemann. Der DEVAP-Vorsitzende betonte zudem, dass sich die Mitarbeitenden in der Pflege von der Politik „nicht ernst genommen“ fühlen. Stattdessen existiere das Gefühl, von den politischen Entscheidungsträgern im Stich gelassen worden zu sein. Den Preis würden nun diejenigen zahlen, „die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen sind“, sagte der DEVAP-Sprecher zum Abschluss seiner Ausführungen.
Andere Ansichten zur allgemeinen Impflicht gibt es durchaus. So sieht Michael Kulas, der Vorsitzende des Saarländischen Hausärzteverbandes, das Scheitern des Vorhabens durchaus positiv. Er verweist auf viele Probleme, die durch die Einführung für Mediziner entstanden wären. Die Beschädigung des Verhältnisses zwischen Arzt und Patienten wäre nach Ansicht von Kulas die Folge der allgemeinen Impflicht. Nun gehe es für Medizin und Pflege darum, auf die Freiwilligkeit, anstatt der Verpflichtung zu setzen.