Gradwanderin zwischen Welten
(dob) Im Büro der erfolgreichen jungen Frau begrüßt die zu Besuch weilende elegante Mutter nach einem kritischen Blick ihre Tochter: „Täusche ich mich, oder bist du fülliger geworden?“ Ihr Blick wendet sich der Sekretärin zu. „Du solltest dir ein Beispiel an ihrer schlanken adretten Gestalt nehmen. Dann würdest du auch einen Mann abkriegen!“
Journalistin und Buchautorin Doris Schmidt-Bergholz schilderte diese Fernsehszene, um entlang der Thesen der französischen Psychologin Christiane Olivier, die in den achtziger Jahren mit ihrem Werk: „Jokastes Kinder“ einen ersten weiblichen Blick auf die Psychologie der Frau veröffentlichte, in die Fragestellung einzuleiten und sie zu erörtern. Die Frauen, die im Rahmen der Freitagsgespräche des Frauenforums e.V. gekommen waren, lachten. Solche oder ähnliche Situationen hatten sie selbst schon erlebt.
Woher kommt dieses Verhalten zwischen Mutter und Tochter, zwischen Schwestern und Freundinnen? Wo bleibt die Solidarität unter Frauen?
Christiane Olivier beschreibt in ihrem Buch zunächst die kleine Tochter, die, buchstäblich, in die Schuhe der Mutter tritt und sich mit ihr zunächst identifiziere, dann aber bemerke, dass sie mit ihrer wundervollen Mutter nicht mithalten könne und sich deshalb minderwertig fühle.
Aus diesem Dilemma befreie sie der Vater, bei dem sie zwar seine Liebe zu der Mutter spüre, aber auch eine weitergehende Sehnsucht. So sei es das drängendste Bedürfnis des kleinen Mädchen in ihrer weitergehenden Reifungsphase, dem Vater zu gefallen und dessen Sehnsuchtsbild in sich zu verwirklichen.
Damit entwickele die Tochter eine weitere Identität, und löse sich aus dem Identifikationsfeld der Mutter, was diese als beängstigend erlebe. Das also sei es, was Frauen seit Generationen trenne und verbinde: Sie lieben denselben Mann, der durch seine zum Teil weitgehende Abwesenheit im Betreuungssystem leicht mystifizierbar werde! Das Ergebnis sind Szenen, wie oben.
Diese neue, entstandene Identifikation könne später Ausgangspunkt für eine tatsächlich eigene Identität der Tochter sein, wenn SIE bewusst entscheiden kann, wer sie sein WILL.
Im Verlauf des Gespräches wurden viele persönliche Geschichten erzählt. Das gemeinsame an diesen Frauengeschichten kann ihre Intention sein, dem Vater gefallen zu wollen.
Egal, ob blond, ob klug, ob sportlich oder karitativ, das perfekte Frauenbild des Vaters scheint Maßstab für das Ergebnis, dass die Tochter zu werden erstrebt, zumindest zunächst.
Dabei spielt die Zeit und das soziale Umfeld, in dem sich der Vater bewegt, eine entscheidende Rolle dabei, wie sein Sehnsuchtsbild aussieht. In den sechziger Jahren war es vielleicht die gut kochende, perfekte Hausfrau, heute verkörpert es vielleicht die erfolgreiche Tochter im schicken Hosenanzug, die sich als Managerin Respekt erwirbt.
Ein sich gegenseitig förderndes Miteinander von Frauen ist schon immer das Ziel des Frauenforums gewesen. Im Bewusstsein der Zusammenhänge setzt sein Erreichen achtsamen Respekt vor dem So-Sein der anderen Frau voraus und das Aufgeben von Bewertung, das besser als… zugunsten eines sowohl als auch …!
Quelle: Frauenforum e.V. Wiesloch