Das beliebte Trio steht zum letzten Mal beim Zeltspektakel in der Manege
Nach den finalen Klängen des Eagles-Klassikers „Hotel California“ erheben sich viele der Zuschauerinnen und Zuschauer im voll besetzten Zirkuszelt und spenden stehend Applaus. Und es scheint, als hätten die drei Hauptpersonen tatsächlich Tränen der Rührung in den Augen. Denn „Die Nachtigallen“ sind bekanntermaßen auf Abschiedstour, hören zum Jahresende auf und stimmen damit auch beim Zeltspektakel ihren Schwanengesang an. Dem Anlass angemessen, lassen sie dem letzten Song des Abends einen allerletzten als Zugabe folgen: Cyndi Laupers „Time after Time“ dient noch einmal als prima Beispiel dafür, wie das Trio Perlen der Popmusik in seinen ganz eigenen Arrangements zu neuem Glanz verhilft. Befreit vom aus heutiger Sicht etwas klebrigen Synthesizer-Überzug macht die Achtziger-Jahre-Ballade in der Nachtigallen-Version eine ebenso gute wie zeitgemäße Figur. Viele Kehlen singen mit und am Ende erhebt sich dann das ganze Zelt. Der lang anhaltende Beifall ist nach einem schönen Konzert wohlverdient.
Das Kokettieren mit dem Alter zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend. Und natürlich transportiert es auch die Wahrheit: Multi-Instrumentalist Rolf Schaude und Martin Haaß (Gitarre, Gesang) tritt man sicher nicht zu nahe, wenn man sie Urgesteine der hiesigen Musikszene nennt. Sängerin und Schlagzeugerin Jutta Werbelow, nach eigenen Worten noch „in den Windeln“, als die beiden schon mit Gruppen wie „Lisa and the Powerboosters“ (deren Nummer „Don’t Stop It“ heute noch im Nachtigallen-Set ist) oder der „Wilden 13“ tiefe Spuren hinterlassen haben, ist auch schon seit 1995 bei den zwei Jahre zuvor gegründeten Nachtigallen aktiv. Da ist es verständlich – und trotzdem schade –, dass sich jetzt der Vorhang senkt. „Ihr macht es uns echt nicht leicht, wie sollen wir da aufhören?“, kommentiert die Sängerin den immer wieder stürmischen Applaus mit einem weinenden und einem lachenden Auge und spricht von „einem Highlight unserer Abschiedstour“. Wobei nur als Trio Schluss sein wird, Musik werden alle drei auch künftig machen.
Das Programm ist, wie von den Nachtigallen
gewohnt, bunt gemischt und ein Streifzug durch die Rock- und Popgeschichte, abwechslungsreich und immer ganz eigen arrangiert. Vom „Marrakesh Express“ (Crosby, Stills & Nash), einer Nummer aus den späten Sechzigern, geht es mit Madonnas „Like a Virgin“ mitten in die Achtziger, liebevolles Gefrotzel zwischen Jutta Werbelow und Rolf Schaude inklusive. Dass Letzterer mit dem Pop-Hit aus dem Jahr 1984 nach eigenem Bekunden nur wenig anfangen kann, macht überhaupt nichts, hat die jazzig angehauchte Nachtigallen-Version mit dem Original fast nur noch den Text gemeinsam – irgendwo ganz hinten schimmert die Melodie dann aber doch durch. Auch Bob Dylans „Mighty Quinn“, 1968 ein Hit für Manfred Mann und zehn Jahre später von dessen Earth Band noch mal in einer rockigeren Fassung eingespielt, wird einmal komplett zerlegt und neu zusammengesetzt – oft gehört, immer wieder spannend.
Wie vielseitig die drei Musiker sind, zeigt sich, als zum weniger spaßigen, aber mitreißenden „Psycho Killer“ (Talking Heads) die Plätze getauscht werden. Rolf Schaude nimmt hinterm schon legendären Schlagzeug aus Pappkarton und leeren Gemüsedosen Platz, Jutta Werbelow zupft den Bass, hat später auch die Gitarre in der Hand. Martin Haaß spielt im aufs Wesentliche reduzierten „Here comes the Rain again“ (Eurythmics) ein großartiges Gitarren-Solo, singt unter anderem „The Boys of Summer“ (Don Henley) und steuert in „Calling You“ (Holly Cole) die Mundharmonika bei. Und Schaude greift zu exotischen Instrumenten wie Didgeridoo und Handpan – die entspannte Eigenkomposition mit asiatischem Touch am Blechklanginstrument geht nahtlos in „My Heart Will Go on“ (Céline Dion) über, Titanic-Galionsfigur-Parodie von Jutta Werbelow inklusive. Sehr dramatisch auch die Präsentation von Michael Jacksons „Thriller“ – ist das noch kreischender Klagegesang oder schon Sirenengeheul? Auf jeden Fall „arg, arg, arg schön“, wie die Sängerin meint.
Bei aller Wehmut dominiert der Spaß. „Paranoid“ von Black Sabbath leitet erst ganz entspannt in die zweite Hälfte des Abends ein, dann frönen die drei aber tatsächlich dem Heavy Metal. Und wer traut sich schon, Modern Talking zu covern? Jutta Werbelow kostet die Zeilen von „You’re my Heart, You’re my Soul“ mit großem Vergnügen aus, dafür gibt es keinen Szenenapplaus, sondern Szenengelächter. Und das Publikum erntet Lob, dass es auch die kurz angestimmten „Brother Louie“ und „Cheri Cheri Lady“ erkennt. Bei „Everything Counts“ (Depeche Mode) wird das Smartphone zur Rhythmusmaschine, Haaß spielt ein tragbares Keyboard, Schaude die Klarinette und die Sängerin tanzt, wie man in den Achtzigern in der Pfalz nun mal getanzt hat – da bleibt kein Auge trocken und mitgeklatscht wird so energisch wie ganz am Ende des Abends mitgesungen.
Da hat Zeltspektakel-Organisator Jürgen Vogel schon ein Abschiedspräsent von der Band bekommen und freut sich zusammen mit allen im Zelt, beim „herausragend berührenden“ (Werbelow) Abend dabei gewesen zu sein.
Info: Die Nachtigallen sind auf ihrer Abschiedstour noch zweimal in Walldorf im Theaterkeller des Forums ’84 zu erleben: am Freitag, 22. November, und Samstag, 23. November, jeweils um 20 Uhr.
Die Nachtigallen auf ihrer Schwanengesang Abschiedstour: (v.li.) Martin Haaß, Jutta Werbelow und Rolf Schaude.
Text: Stadt Walldorf
Foto: Helmut Pfeifer