„Richte ihre Füße auf den Weg des Friedens“
„Während heute in Deutschland des Falls der Berliner Mauer gedacht wird, gedenken wir der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die durch den Brand der Synagogen am 9. November 1938 aus der Gemeinschaft herausgerissen wurden“, so Bürgermeisterin Christiane Staab beim „Rundgang gegen das Vergessen“, zu dem die Stadt Walldorf und die Evangelische Junge Gemeinde (EGJ) am 9. November, einem Schicksalstag in der deutschen Geschichte, eingeladen hatten.
Weit über hundert Interessierte folgten dem Rundgang, der von der Gedenktafel für die früher in Walldorf lebenden Mitmenschen jüdischen Glaubens auf dem Friedhof zu Stolpersteinen im Zentrum und schließlich zur ehemaligen Synagoge führte. „Es ist unser aller Aufgabe, nicht zu vergessen und stets darauf hinzuweisen, was unmenschlich ist“, erklärte die Bürgermeisterin. Von der Gedenktafel, deren Text die beiden EGJ-Mitglieder Nina Kneis und Lukas Staab vorlasen, ging es zum jüdischen Friedhof. Hier gab Dieter Herrmann, Autor des Buches „Geschichte und Schicksal der Walldorfer Juden“ Erläuterungen zu verschiedenen Gräbern. Seit 1712 lebten kontinuierlich jüdische Familien im Dorf. Bis zur Einrichtung eines eigenen Friedhofs wurden die Walldorfer Juden im 1661 erstmals urkundlich erwähnten „Judengottesacker“ in Wiesloch beerdigt. Die ältesten Gräber auf dem Walldorfer Friedhof, der vom christlichen Friedhof durch eine Begrenzungsmauer getrennt ist, stammen aus dem Jahr 1841. Die letzte Beerdigung fand 1940 statt. Auf dem heute der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden gehörenden und von der Gemeinde Walldorf gepflegten Friedhof, dem „Haus der Ewigkeit“, gibt es 88 Grabstätten.
Die Grabsteine besitzen neben den eindrucksvollen hebräischen Inschriften oft noch besondere Merkmale und Ornamente. Während Dieter Herrmann Erklärungen zu den Gräbern und ihren Symbolen gab, verlasen Nina Kneis, Lukas Staab und Elisabeth Krämer Texte, die an die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 erinnerten, als in Deutschland die Synagogen brannten, als Menschen ihr Leben verloren, jüdische Läden und Geschäfte zerstört, 30.000 Juden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt wurden, wo sie schließlich ermordet wurden. Alle, die dies für den Höhepunkt der Diskriminierung hielten, mussten erfahren, dass es erst der Anfang der „Endlösung“ sein sollte.
Stolpersteine für das Gedächtnis
Vom Friedhof bewegte sich der lange Zug zur Hauptstraße, wo einige der insgesamt zwanzig Stolpersteine im Jahr 2010 vom Initiator der Stolperstein-Aktion Gunter Demnig verlegt wurden. Vor dem Haus Nummer 27 erinnern vier Steine an Sara und Flora Mayer sowie Ida und Hedwig Menges. Bürgermeisterin Staab legte für sie vier weiße Rosen nieder. Die „Stolpersteine“ sollen uns jeden Tag an das Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger Walldorfs erinnern“, betonte sie und dankte dem Gemeinderat, dass die Stolpersteine verlegt wurden, „zum Gedenken und Hinweis auf ein Menschenleben, das nicht vergessen werden darf.“ Hier verlasen die drei EGJ-Jugendlichen die Namen der am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportierten letzten in Walldorf lebenden jüdischen Bürgerinnen und Bürger.
Letzte Station des Rundgangs zu jüdischem Leben in Walldorf war die ehemalige Synagoge in der Albert-Fritz-Straße. 1716 als Reformierte Kirche erbaut, diente das Gebäude vom Oktober 1821 an der Vereinigung der Reformierten und Lutheraner in Walldorf als Gotteshaus bis zum Bau der Evangelischen Stadtkirche, war von 1861 bis 1938 Synagoge und ist seit 1954 Kirche der Neuapostolischen Gemeinde. „Wegen enger Bebauung wurde die Synagoge am 9. November während der Reichspogromnacht nicht angezündet“, berichtete Herrmann. Denn das Nachbarhaus gehörte einem Mitglied des NS-Ortsvorstandes. Nach Demolierung der Synagogeneinrichtung wurden zwei jüdische Häuser völlig zerstört, andere am folgenden Tag zur Kennzeichnung mit Kalkbrühe bespritzt. „Am 11. November nahm sich Anna Klein das Leben“, so Herrmann. Die „Synagogenstraße“ wurde in „Straße der SA“ umbenannt, die Rückbenennung erfolgte 1945. Im Gotteshaus der Neuapostolischen Kirche, über deren Pforte noch der Spruch der ehemaligen Reformierten Kirche „Dieses ist nichts anderes als ein Gotteshaus“ in hebräischer und deutscher Schrift zum Eintritt einlädt, sprachen Gemeindediakon Oliver Tuscher und Elisabeth Krämer nach gemeinsamen Gebeten, die auch den Wunsch enthielten, „die Füße auf den Weg des Friedens zu richten“, den Segen auf Hebräisch und Deutsch.
Das Interesse an dem Rundgang in die Vergangenheit war enorm. Hier Dieter Herrmann und die Jugendlichen der EGJ (re.) vor ihrer großen Zuhörerschar auf dem jüdischen Friedhof (Fotos: Pfeifer)
Bürgermeisterin Christiane Staab und Dieter Herrmann vor den Stolpersteinen
Text: Stadt Walldorf