Der Nerz ist da
Das ehemalige Affenhaus im Tierpark hat endlich wieder einen Bewohner. Es handelt sich um einen Europäischen Nerz, der seinen neuen Lebensraum mit Wasserlauf, aufeinandergestapelten Baumstämmen und Steinbrocken gleich neugierig erkundet. „Zu sehen, wie sich die Arbeit auszahlt, ist aller Mühen wert“, freut sich Philipp Koch, der Leiter des Tierparks. Gut vier Monate lang haben seine Tierpfleger und er am ehemaligen Affenhaus gearbeitet, vieles in Eigenregie erledigt und das Nerz-Gehege liebevoll eingerichtet. „Wir wollen ja weg vom Gehegebau und Lebensräume schaffen“, sagt Koch. Mit rund 30 Quadratmetern hat der Neuzugang im Tierpark mehr als ausreichend Platz, der Indoor-Bereich ist mit Sägespänen und Totholz als Rückzugsraum ausgestattet. Der Nerz scheint damit vollauf zufrieden zu sein.
Das ist auch Wolfgang Festl, der Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung des Europäischen Nerzes, kurz EuroNerz. Seit über 25 Jahren widmet er sich der Raubtierart aus der Familie der Marder, die zu den bedrohtesten Säugetierarten Europas zählt und in Deutschland als ausgestorben gilt, auch weil sie vom Amerikanischen Mink, der zur Pelzgewinnung in Europa gehalten wird, verdrängt worden ist. Festl ist in den späten neunziger Jahren erstmals in Westeuropa die Nachzucht dieser Tierart gelungen, heute arbeitet er dafür mit 28 Tierparks in ganz Deutschland zusammen – ab sofort auch mit der Walldorfer Einrichtung. Ziel ist die Wiederansiedlung der Tiere in der freien Natur, was aktuell vor allem in einem Projekt am Steinhuder Meer in Niedersachsen mit Erfolg geschieht.
Der neue Bewohner im Tierpark, der keinen Namen hat, sondern nur die Nummer 1373 trägt, ist ein Rüde, geboren im vergangenen Jahr und aus Festls Sicht „zum Verpaaren nicht geeignet“. Mit den Europäischen Nerzen ist ohnehin meist nicht gut Kirschen essen: Sie gelten als strikte Einzelgänger, die ihre meist am Wasser liegenden Reviere allein bewohnen. In der Fortpflanzungszeit im Frühjahr paaren sich die Männchen jeweils mit mehreren Weibchen, Fähen genannt, und verlassen diese anschließend wieder. Die Fähen bringen etwa sechs Wochen später zwei bis sieben Junge zur Welt und kümmern sich anfangs gut um ihre Kinder, was sich allerdings später ändert. „Spätestens nach elf Wochen hole ich die Fähe ab“, erzählt Festl. „Die fängt dann an, kratzig zu werden.“ Dann würden sich die Tiere gegenseitig beißen. Deshalb wird im Tierpark kein Paar gehalten: Der Rüde wird im kommenden Frühjahr von einer trächtigen Fähe abgelöst, die dann in Walldorf ihre Jungen zur Welt bringen wird. Anschließend kümmert Festl sich um Mutter und Nachwuchs mit dem Ziel, weitere Tiere in Niedersachsen auszuwildern. Und der Tierpark wird für die nächste Übergangszeit wieder ein Männchen erhalten.
„Einer der Hauptgründe, warum die Nerze bei uns ausgestorben sind, ist die Lebensraumzerstörung“, sagt Festl und verweist auf begradigte Flüsse und Bäche. Die neue Flachwasserzone im Tierpark, in die Baumstämme hineinragen und die von Steinen gesäumt ist, gefällt ihm dagegen gut: „Die gehen bei Gefahr ins Wasser und ziehen sich dann in Löcher und Nischen zurück“, schildert er das Verhalten der Nerze. Diese kommen übrigens winzig klein zur Welt, erreichen schon nach etwa zehn Wochen die Größe ihrer Mutter. „Die gehen auseinander, explodieren“, sagt Festl anschaulich. Nerz 1373 hat eine Körperlänge von etwa 40 Zentimetern vom Kopf bis zum Schwanz. Während er munter umherspringt, meint Festl: „Der ist ein bisschen forscher.“ Und er mahnt: „Nerze sind keine Kuscheltiere.“ Früher habe er als Tierpfleger mit Elefanten und Menschenaffen gearbeitet. Doch erst seit er sich mit Nerzen beschäftige, trage er auch Sicherheitsschuhe, erzählt er mit einem Schmunzeln.
Während die Tierpfleger mit technischer Unterstützung aus dem Eigenbetrieb Wohnungswirtschaft, der für den Tierpark verantwortlich ist, den Um- und Ausbau zum größten Teil selbst vorgenommen haben, wurden der Wasserbereich sowie die schützenden Glasscheiben mit der tatkräftigen Unterstützung lokaler Firmen errichtet. Die Kosten dafür haben rund 23.000 Euro betragen. Da man einen nicht mehr genutzten Gebäudeteil reaktiviert habe und einen wertvollen Beitrag zum heimischen Artenschutz leiste, sei das „eine sehr sinnvolle Investition“, findet David Högerich, der Leiter des Eigenbetriebs.
Und Wolfgang Festl fährt weiter zum nächsten Tierpark. 2021 wurde er für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Während er nach eigenen Worten „Feuer und Flamme“ dafür ist, wieder die nötigen Biotope für die Nerze zu schaffen, will er keine emotionale Bindung zu den Tieren selbst aufbauen – sonst könnte er sich vermutlich nur schwer wieder von ihnen trennen. Seine Lieblingstiere sind Papageien. „Durch Papageien bin ich Tierpfleger geworden.“ Aber er sei leider noch nicht dazu gekommen, sich einen anzuschaffen. Ob ihm die Nerze je die Zeit dafür lassen?
Info: Ein Video mit dem Walldorfer Nerz findet sich auf den Facebook- und Instagram-Seiten der Stadt.
Text und Foto: Stadt Walldorf