Rinder und Ziegen grasen auf der Winterweide
„Das ist seit Jahren ein wertvolles Naturschutzprojekt. Wir sind sehr dankbar, dass der Forst das begleitet“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler über die Waldweide im Waldgebiet Reilinger Eck. Dort wurde die Weidefläche in diesem Jahr von vier auf rund acht Hektar verdoppelt und aktuell findet erstmals eine „Winterweide“ statt: Anstelle der über die wärmere Jahreszeit zu sehenden Esel von Horst Kempf, die zwar Kälte vertragen können, für die aber Nässe zu einem Problem würde („das geht auf die Hufe“, so Kempf), weiden auf der neuen Fläche derzeit 19 Rinder und 30 Ziegen, die die Firma Herbana zur Verfügung stellt.
„Im Vordergrund steht die Naturschutzmaßnahme als Beitrag zur Biodiversität“, sagt Revierförster Achim Freund. Dafür sei die Waldweide ein gutes Werkzeug. Vieles könnte man zwar auch manuell erledigen, „aber die Tiere schaffen das besser, als wir es mit menschlichen Kräften könnten“. Ziel sei: „Wir brauchen ein vielfältiges Angebot an verschiedenen Flächen“, Lebensräume für die unterschiedlichen Arten. Seit dem Beginn der Waldweide im Jahr 2007 sind 21 bedrohte Pflanzenarten in der Fläche nachgewiesen worden.
Mit der Waldweide ist nach Freunds Worten eine „sehr lichte Waldgesellschaft“ entstanden, in der die Nährstoffe knapp sind, es wenig Wasser gibt, aber viel Licht den Boden erreicht. Damit habe man eine Nischenfläche für Pflanzen geschaffen, die im Wald sonst keinen Platz finden. „Wir sind auch Vogelschutzgebiet“, verweist der Förster darauf, dass man hier sowohl Nistmöglichkeiten als auch offene Flächen habe, in denen Vögel Insekten jagen könnten. „Ziegenmelker, Wendehals und Heidelerche stehen oben auf der Prioritätenliste“, sagt er. Horst Kempf, der auch ohne seine Esel täglich vor Ort ist, um bei den Ziegen und Rindern nach dem Rechten zu sehen, ergänzt: „Wir haben hier sieben Arten von Fledermäusen, darunter das Große Mausohr und den Kleinen Abendsegler.“
Bei allen Maßnahmen wird immer auf das richtige Gleichgewicht geachtet, wie Förster Freund verdeutlicht: „Nach der gewünschten Lichtungsphase in der bestehenden Waldweide kümmern wir uns jetzt darum, wieder Bäume nachzuziehen“, unter anderem mit Eicheln aus dem Hähertisch-Projekt. Schließlich wolle man keine gänzlich leere Fläche entstehen lassen. An den Wegen entlang der Zäune, die die Waldweide vom restlichen Gebiet abgrenzen, wurden in Töpfen angezogene, mediterrane Flaum- und Zerreichen gepflanzt, um für eine gute Mischung aus heimischen und klimastabilen Bäumen zu sorgen. Was die Tier- und Pflanzenwelt angeht, die im Bereich der Waldweide ideale Bedingungen vorfindet, gebe es ein regelmäßiges Monitoring, so Freund. „Wir haben hier eine Verdreifachung der Vogelarten“, nennt er ein Ergebnis. „Natürlich gibt es ein Kommen und Gehen. Das System ist nicht statisch“, die Entwicklung bleibt immer dynamisch.
Die Herbana GmbH mit Sitz in Bruchsal, die die Weidetiere zur Verfügung stellt, wurde 2016 von der Stiftung Naturschutz gegründet, erläutert deren Vorsitzender Jochen Bresch. Mit momentan rund 170 Rindern, Schafen und Ziegen widmet man sich „auf 160 Hektar zwischen Kaiserstuhl und Mannheim“ und mit Schwerpunkt in der Schwetzinger Hardt der naturschutzdienlichen Beweidung und der Landschaftspflege durch Weidetiere. In Walldorf sind Galloway- und Zwergzebu-Rinder beziehungsweise aus beiden Arten gekreuzte Tiere im Einsatz – die stammen ursprünglich aus Schottland und Sri Lanka, finden hier aber ideale Bedingungen vor. Dazu kommen Burenziegen, die in Südafrika heimisch sind. „Hier ist das Futter mager, auf einer normalen Weide wäre es zu fett“, sagt Horst Kempf. Jochen Bresch wählt einen anschaulichen Vergleich, warum das für die Tiere gut ist: „Das ist wie bei uns, wenn man jeden Tag an die Süßigkeiten geht.“ Dass die Herbana-Tiere regelmäßig an andere Orte gebracht werden, erfüllt laut Achim Freund ein weiteres Naturschutzziel: „Wir wollen eine Vernetzung der Lebensräume erreichen.“ Allein durch die natürlichen Ausscheidungen der Tiere finde „ein Transport von Samen“ statt.
Dadurch, dass die Beweidung jetzt durchgeführt wird, werden zur Brutzeit der meisten Vögel keine anderen Tiere in der Fläche sein. „Wir machen das kurzrasig, dann kann im März die Heidelerche brüten“, sagt Jochen Bresch. Je nach Futterlage werden seine Tiere ab etwa dem 18. Dezember an den nächsten Einsatzort nach Speyer transportiert. Und die Esel von Horst Kempf sollen von Mai bis Oktober auf die Waldweide zurückkehren.
„Die Bevölkerung darf gerne hierherkommen“, sagt Achim Freund. Aber: „Es besteht ein absolutes Fütterungsverbot.“ Jede Nahrung von außen bedeute „eine große Gefahr für die Tiere“. Wie groß, weiß Jochen Bresch: „Wir haben über Sommer mehrere Ziegen durch Fütterung verloren.“ Auch wegen solcher Themen findet Bürgermeister Renschler es wichtig, dass Projekte wie die Waldweide Eingang in die Waldpädagogik finden und es gemeinsame Projekte mit den Walldorfer Schulen gibt: „Es geht auch darum, das Bewusstsein zu schärfen. Ob beim Füttern der Tiere oder beim Thema Klimawandel.“ Deshalb dankt er allen Beteiligten, „dass Sie das mittragen“. Denn die Waldweide bedeute auch „eine Menge Arbeit“.
Text und Fotos: Stadt Walldorf