Die Veranstaltungsreihe „Konzerte der Stadt“ steht vor der Tür. Das erste Konzert wird am 17. März in der Astoria-Halle stattfinden. Verantwortlich für die Programmgestaltung zeichnet der Musikbeauftragte der Stadt, Dr. Timo Jouko Herrmann.
Beim Interview mit der Walldorfer Rundschau spricht er über das Programm der „Konzerte der Stadt“ und seine bisherige Arbeit in Walldorf.
Walldorfer Rundschau (WR): Herr Herrmann, Sie sind seit der Saison 2019/2020 Musikbeauftragter der Stadt Walldorf. Wie haben Sie Ihren Start erlebt?
Timo Jouko Herrmann: Nachdem ich den Posten bekommen hatte, ging es gleich an die Planung für die Konzerte der Stadt, die im Januar 2020 starten sollten. Den Auftakt machte dann auch wie vorgesehen das Duo „Liederträchtig“ mit seinem Musikkabarett in der Laurentiuskapelle. Und danach ging es schon nicht mehr weiter, da das nächste Konzert im März gewesen wäre.
WR: Der erste Lockdown wurde im Land verhängt und das hatte massive Auswirkungen auf die Kultur und ihren Wirkungsbereich. Wie sind sie damit umgegangen?
Timo Jouko Herrmann: Erst einmal haben wir die geplanten drei Konzerte verschoben. Aber schnell war klar, das wird nicht funktionieren. Dann haben wir als neues Format im Juni mit dem Hamburger Ensemble „La Porta Musicale“ ein Onlinekonzert durchgeführt. Das wurde in Hamburg gefilmt und über die Homepage der Stadt zugänglich gemacht. Interessant war, dass sich tatsächlich auch Leute aus dem Ausland zugeschaltet haben. Mit den Künstlerinnen und Künstlern der beiden anderen geplanten Konzerte war ich die ganze Zeit weiterhin in Kontakt und habe ihnen versichert, die Konzerte durchzuführen, sobald es möglich ist.
WR: Eines davon wird demnächst stattfinden.
Timo Jouko Herrmann: Genau. Das Malion Quartett kommt für die Konzerte der Stadt am 28. April und spielt um 20 Uhr in der Astoria-Halle. Und Katharina O. Brand, die mit einem Konzert in 2020 dran gewesen wäre, wird nun im Rahmen der Musiktage in diesem Jahr am Hammerflügel und modernen Flügel spielen.
WR: 2020 stand auch das Stadtjubiläum mit der 1250-Jahr-Feier an. Was hatten Sie dafür geplant?
Timo Jouko Herrmann: Darauf waren die Musiktage mit dem Thema „Visionen“ ausgelegt. Aber wir haben relativ bald gesehen: Das wird man nicht durchziehen können. Wir haben dann entschieden, die Musiktage mit dem kompletten Programm ins Jahr 2021 zu transferieren. Natürlich ist es in dieser Zeit richtig schwierig gewesen, vorausschauend zu planen.
WR: Was war in dieser Zeit für Sie besonders wichtig?
Timo Jouko Herrmann: Wichtig war, dass gerade in dieser Zeit die Zusammenarbeit und die Abstimmung mit dem Kulturamt richtig gut lief. Man darf nicht vergessen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine erhebliche Mehrbelastung durch die Umstände der Pandemie zu schultern hatten. Wir haben es beispielsweise bei den Musiktagen im letzten Jahr gesehen: Einlasskontrolle, Kontaktnachverfolgung, man muss schauen, wie ist es mit der Bestuhlung und den Abständen, wie setzt man eine Einbahnstraßenregelung um? Aber trotzdem haben wir den Mehraufwand gut bewältigt. Sehr schön war auch, dass das Publikum zurückkam.
WR: Gibt es die Befürchtung, dass es einen Effekt der Entwöhnung geben könnte, also die Menschen die Kultur gar nicht so sehr vermissen?
Timo Jouko Herrmann: Die Befürchtung gibt es durchaus. Viele Veranstalter, mit denen ich in Kontakt bin, waren überrascht, dass die Leute ihnen nicht die „Bude einrennen“, als es wieder möglich war. Man muss schon sehr aktiv auf die Leute zugehen. Die normalen Kanäle dazu muss man erst einmal wieder reaktivieren. Das ist die größte Herausforderung, wieder in eine Normalität hineinzukommen. Es ist kein Selbstläufer.
WR: Was kann denn eine Kommune wie Walldorf für die Kultur leisten?
Timo Jouko Herrmann: Einerseits wird über Kultur immer viel gestritten – wie wichtig ist sie, was für einen Nutzen hat sie? Aber letzten Endes gehört sie einfach zur Menschenbildung und zum Menschsein dazu. Und egal wie die kulturelle Ausprägung geartet ist: Wichtig ist nur, dass ein kulturelles Angebot da ist, dass man es wahrnimmt und nutzt. Wir haben wunderbare Dinge entwickelt, die einen unschätzbaren ideellen Wert haben. Ich hoffe, dass das gerade jetzt den Menschen wieder ins Bewusstsein gekommen ist. Wir haben das Glück, dass man in einem Radius von wenigen Kilometern fast alles haben kann. In anderen Ländern muss man dafür in eine Großstadt fahren. Wir leben eigentlich in einem kulturellen Schlaraffenland, um das uns sehr viele beneiden. Sicher ist Walldorf finanziell in der Lage, dass wir das alles machen können. Und es ist eine tolle Sache, dass das über einen so langen Zeitraum schon so ist. Wir tragen dadurch dazu bei, dass das Kulturleben wieder anläuft.
WR: Gibt es für Sie persönlich ein besonderes Highlight?
Timo Jouko Herrmann: Als Geiger ist mir natürlich die Streichermusik nah. Ich freue mich daher schon auf das Streicherquartett am 28. April sehr. Auch weil es eigentlich schon 2020 spielen sollte und es ein tolles Ensemble ist, das am Beginn einer großen Karriere steht. Wir haben als Ersatz für das Waldkonzert, das im Rahmen des Stadtjubiläums 2020 geplant war, nun eine Sommerserenade mit den Heidelberger Sinfonikern am 9. Juli auf der Seebühne im AQWA. Das wird vom Ambiente sicher sehr schön. So etwas haben wir vielleicht alle zehn Jahre mal. Aber letzten Endes brenne ich sowieso für alles und bin froh, dass es bald wieder losgeht. Ich hoffe, dass es dem Publikum da ähnlich geht.
WR: Welche Rolle spielen die Örtlichkeiten bei den Konzerten der Start?
Timo Jouko Herrmann: Der Ort spielt schon eine Rolle. Seit 1999 ist das Hauptdomizil der Konzerte der Stadt die Laurentiuskapelle. Diese ist als Raum natürlich toll für Kammermusik, weil man in einem sehr intimen Rahmen ist. Als ein akustisch super Raum hat sich auch das Rathaus-Atrium erwiesen. Bis zu kleiner Orchestergröße kann man hier auftreten lassen. Ein Open-Air-Konzert geht dagegen nicht ohne Verstärkung. Für die Seebühne etwa werden wir für das Gesamtorchester eine leichte Verstärkung haben. Da haben wir gute Erfahrungen auch bei anderen Waldkonzerten gesammelt. Im Prinzip versuche ich immer gleich den Raum mitzudenken. Bei der Astoria-Halle war ich sehr positiv überrascht von der Wirkung der Kammermusik bei den Musiktagen letztes Jahr. Weil wir da nur ein Duo hatten, was in der Halle trotz ihrer Größe akustisch richtig gut funktioniert hat. Wenn man einen Raum entdeckt, der funktioniert und praktikabel ist, dann nehmen wird den mit rein.
WR: Dann konnte man Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr nun für die Planung kommender Konzerte gut nutzen?
Timo Jouko Herrmann: Genau. Dafür waren die Musiktage letztes Jahr auch einfach gut, um das mal zu sehen. Wir haben in der Astoria-Halle sonst nur die groß besetzten Sachen gemacht. Wir wissen nun, dass es bei kleineren Besetzungen sowohl akustisch als auch atmosphärisch funktioniert.
WR: Wann gehen Sie in die Planung für die nächsten Programme?
Timo Jouko Herrmann: Ich bin da jetzt schon in der Planung. Natürlich ist es alles ein bisschen anders, weil wir von den letzten Programmen viel verschoben haben. Die Musiktage für dieses Jahr sind fertig geplant. Und für nächstes Jahr sind auch schon Ideen da. Ich schaue, dass ich sehr langfristig plane und wenn man Musikerinnen und Musiker engagieren will, dann gilt natürlich: Je früher desto besser.
WR: Was zeichnet die Konzerte der Stadt aus?
Timo Jouko Herrmann: Der Fokus liegt zwar primär auf der Klassik, aber natürlich versuche ich, das breit aufzustellen. Das ist ein Konzept, welches ich von meinen Vorgängern weitertragen möchte. Wir schauen nach ganz aktueller Musik, es kann auch mal Jazz-Musik sein, wie aktuell beim Ensemble ToneGallery, das am 12. Mai im Innenhof der Stadtbücherei auftreten wird. Musikkabarett war auch immer wieder mit drin. Ich schaue nach ungewöhnlichen Konzepten wie Gesprächskonzerte oder spartenübergreifendes wie Kunst und Musik oder Literatur und Musik. Ich glaube das ist etwas, womit wir in Walldorf punkten können. Das Schöne ist einfach, dass wir hier sehr niederschwellig herangehen und auch die Leute mit einbeziehen können. Ich finde es einfach toll, dass wir sehr flexibel sind, was das angeht. Das Publikum in Walldorf ist auch sehr offen.
WR: Was ist Ihnen wichtig bei der Planung der Konzerte?
Timo Jouko Herrmann: Mir ist sehr wichtig, junge Ensembles mit reinzunehmen. In eine etablierte Konzertreihe in der Großstadt reinzukommen, ist kaum möglich. Da hat sich Walldorf über die Jahre immer wieder als ein Sprungbrett erwiesen. Wir hatten viele Leute hier, die später eine riesen Karriere gemacht haben. Es ist schön, dass wir die Möglichkeit haben, dass sich junge Ensembles auch mit unkonventionellen Programmideen bei uns ausprobieren können.
WR: Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Stadt ab?
Timo Jouko Herrmann: Ich habe hauptsächlich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Kulturamt zu tun. Wir sprechen über Terminmöglichkeiten und versuchen es so zu legen, dass es nicht mit großen Veranstaltungen von Vereinen oder von anderen Institutionen kollidiert. Das ist hier in Walldorf sehr besonders.
WR: Worauf achten Sie bei Ihrer Arbeit als Musikbeauftragter der Stadt?
Timo Jouko Herrmann: Dass man eine gute Balance bei den Konzerten hinkriegt und für jeden und jede aus der Bevölkerung etwas dabei ist, worin sich die Menschen wiederfinde. Ich denke, es ist in meiner Position schon wichtig zu sehen: Was ist wichtig, was ist ein Zeitthema, was müssen wir darstellen? Und dass wir auch immer junge Ensembles fördern. Es macht echt Spaß in der Abstimmung mit Künstlerinnen und Künstlern zu schauen, was für ein Programm man realisieren kann.
WR: Mit den 2009 unter ihrer künstlerischen Leitung ins Leben gerufenen Musiktagen gibt es in Walldorf noch eine weitere Konzertreihe, die regelmäßig stattfindet. Was ist der Unterschied zu den Konzerten der Stadt?
Timo Jouko Herrmann: Während die Musiktage themengebunden sind, sind die Konzerte der Stadt frei in der Auswahl der Programme. Bei den Musiktagen gibt es ein Motto, eine Epoche oder einen Komponisten, die im Mittelpunkt stehen. Der Gedanke dahinter war, dass wir einfach mit den Musiktagen nochmal das Profil schärfen wollten. Wir möchten etwas in Walldorf bieten, das es woanders nicht gibt.
WR: Kommen wir zu einem ganz anderen Projekt: Sie haben eine „Studie zur Geschichte des kommunalen Konzertlebens in Walldorf“ verfasst. Wie kam es dazu?
Timo Jouko Herrmann: Die Idee besteht eigentlich schon länger. Sie kam im Gespräch mit Prof. Gerald Kegelmann auf, dass man eigentlich mal erfassen müsste, wer denn alles hier schon gespielt hat. Im ersten Coronajahr konnte ich nicht viel an Veranstaltungen planen und habe im Gespräch mit dem Ersten Beigeordneten Otto Steinmann erörtert, die Zeit zu nutzen, das Material zu sichten, um zu sehen, was denn bei den Konzerten der Stadt alles gemacht und gespielt wurde und das dann chronologisch zu erfassen. Dabei sollte herausgearbeitet werden, was die Schwerpunkte und Höhepunkte waren.
WR: Daraus ist nun die Studie entstanden. Wie ist diese aufgeteilt?
Timo Jouko Herrmann: Die Studie ist zweigeteilt. Einmal gibt es einen historischen Abriss – wie kam es zu den Konzerten der Stadt? Warum gab es schon 1966 in der Kleinstadt Walldorf einen Kulturbeauftragten? Was haben meine Vorgänger gemacht? Wo waren die Schwerpunkte? Das sind etwa 20 Seiten in einem Fließtext. Der zweite, größere Teil mit fast 100 Seiten besteht aus einer lückenlosen Chronik, die aufzeigt, wer wann welches Repertoire gespielt hat – vom ersten Konzert bis zu den Musiktagen im letzten Jahr.
WR: Was war für Sie besonders interessant bei dieser Arbeit?
Timo Jouko Herrmann: Was ich so interessant fand, war, dass Konrad Winkler bei den Konzerten der Stadt sehr viel Wert auf zeitgenössische Musik gelegt hat und diese häufig aufführen ließ. Ab einem gewissen Zeitpunkt kamen dann auch Konzerte auf historischen Instrumenten hinzu, was man einen sehr langen Zeitraum gar nicht gemacht hat. Prof. Gerald Kegelmann ist im Bereich der historischen Aufführungspraxis sehr verwurzelt gewesen und hat diese verstärkt in die Programme integriert.
WR: Und welche Außenwirkung hatte das florierende Konzertleben in Walldorf?
Timo Jouko Herrmann: Es war sogar so, dass über einen sehr langen Zeitraum der damalige Süddeutsche Rundfunk Konzerte hier in Waldorf mitgeschnitten hat.
WR: Gibt es diese Aufnahmen noch?
Timo Jouko Herrmann: Ich habe über den damaligen Redakteur Kontakt bekommen und dort wird nun geschaut, in welchem Archiv diese Bänder sind. Ich habe eine Liste geschickt mit Konzerten, von denen ich weiß, dass sie mitgeschnitten wurden.
Wir kamen Sie an das Material für Ihre Studie?
Timo Jouko Herrmann: Ich habe die Daten zusammengesammelt aus den Walldorfer Rundschauen. Da wurde während Konrad Winklers Zeiten das komplette Programm abgedruckt. Dann war ich natürlich auch im Archiv im Rathaus. Ich hatte aber auch noch historische Daten, die mein Onkel und mein Vater gesammelt hatten. Dadurch konnte ich im Prinzip alles rekonstruieren.
WR: Was ist ihr Fazit aus dieser besonderen Arbeit?
Timo Jouko Herrmann: Bei den Konzerten der Stadt gab es viele innovative Sachen schon in den 70ern. Auch was die Auswahl der Musik und spartenübergreifende Projekte angeht. Es lief unglaublich viel in dieser Zeit, was einem gar nicht so bewusst ist. Das einmal zu sehen und aufzuarbeiten war richtig spannend.
WR: Wie wird diese Studie den Bürgerinnen und Bürgern zugänglich gemacht?
Timo Jouko Herrmann: Wir werden diese Arbeit digital auf der Homepage zur Verfügung stellen. Man kann sie dann als pdf-Datei ausdrucken oder downloaden. Sollte es möglich sein, an die erwähnten alten Aufnahmen der Konzerte zu kommen, dann wäre es natürlich auch schön, vielleicht eine Soundbibliothek zu haben oder ausgewählte Aufnahmen zu veröffentlichen. Spannend wäre das auf jeden Fall.
WR: Herr Dr. Herrmann. Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Text und Foto: Stadt Walldorf