Andy Herrmann stellt sein Buch im Astorhaus vor
„Bisher gab es keine Publikation, die sich ausschließlich mit der Zeit des NS-Faschismus in Walldorf beschäftigt hat“, schreibt Andy Herrmann im Vorwort seines Buchs. „Walldorf im Nationalsozialismus – Gleichschaltung, Verfolgung, Widerstand in einer nordbadischen Kleinstadt“ ist im Verlag Regionalkultur erschienen. Initialzündung war laut dem Autor die Vorbereitung für einen Stadtrundgang im Jahr 2018, der sich weitere intensive Recherchen anschlossen. „Mich hat immer gestört, dass über diese Zeit nichts zu lesen ist“, sagt Herrmann, als er sein Werk jetzt in einer sehr gut besuchten Veranstaltung im Astorhaus öffentlich vorstellt. Unterstützt haben den Autor bei der Publikation die Vereinigung Walldorfer Heimatfreunde und die Stadt Walldorf.
„Meine Intention war: Wir kümmern uns auch um die Personen, um die Täter“, erklärt Herrmann. Gerade über die Führungsriege sei früher immer nur „hinter vorgehaltener Hand“ gesprochen worden. Er illustriert das gleich mit dem Titelbild seines Buchs: Es zeigt vier Männer in NS-Uniform, darunter den damaligen Bürgermeister Fritz Leibfried, vor dem Hakenkreuz-beflaggten Erbprinzen in der Hauptstraße. „Ich will auch mit Gerüchten aufräumen“, fügt der Autor an. Vieles aus dieser Zeit sei nur mündlich überliefert, „da muss man vorsichtig sein“. Nach dem Stadtrundgang 2018 mit 75 Teilnehmern, den er im folgenden Jahr mit ähnlichem Erfolg wiederholte, habe er für 2020 einen Vortrag zum Thema vorbereitet, der dann aber der Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Die intensive Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und die Suche in den Archiven habe den Entschluss reifen lassen, daraus ein Buch zu machen. Herrmann nennt die Fragen, die ihn bewegt haben: „Wie hat sich das NS-System in einer Kleinstadt festgesetzt? Wer hat mitgemacht? Wie präsent war der Nationalsozialismus vor Ort? Hat sich in Walldorf jemand widersetzt? Wie gestaltete sich die Verfolgung von politischen Gegnern und Juden in Walldorf?“
Die Nationalsozialisten hätten „einfache Lösungen für komplexe Probleme versprochen“, das unter anderem mit Antisemitismus, Antiliberalismus und Antikommunismus verknüpft und so in ganz Baden „schnell viele Anhänger“ gewonnen, blickt Herrmann auf die Anfänge zurück. In Walldorf habe es spätestens 1930 einen sogenannten „Stützpunkt“ gegeben, der kurz vor der Machtübernahme zur „Ortsgruppe“ – für die es mindestens 50 Mitglieder brauchte – geworden sei. „Der Dentist Heinrich Brömmer war der Erste, der in Walldorf die Hakenkreuzflagge gehisst hat“, sagt Herrmann – die Namen und Lebensdaten sechs führender NSDAP-Funktionäre in Walldorf listet er auf den Seiten 182 und 183 seines Buches auf. Die Machtübernahme sei dann mit einem Fackelzug gefeiert worden, dessen Kosten die Stadt übernommen habe – ohne dass dazu noch der Gemeinderat befragt worden sei. Und schon 1933 habe es auch eine starke Verankerung der nationalsozialistischen Symbole in der Öffentlichkeit gegeben. Wie damals vielerorts üblich, wurden Adolf Hitler, Paul von Hindenburg und der badische Gauleiter Robert Wagner zu Ehrenbürgern der Stadt ernannt.
In der öffentlichen Buchvorstellung konzentriert sich Herrmann zunächst auf die Feiertage der Nationalsozialisten und zeigt, wie diese in Walldorf begangen wurden. So sei schon 1933 der Volkstrauertag „propagandistisch ausgeschlachtet“ und in ein „kleines Heldengedenken“ umgedeutet worden. 1935 waren am sogenannten „Beflaggungstag“ neben Hakenkreuz- noch badische und Kaiserreichsflaggen zu sehen, die später verboten wurden. Vom 1. Mai, den das NS-Regime zum „Tag der nationalen Arbeit“ ausgerufen und zum Feiertag gemacht hatte („das kam beim Großteil der Arbeiter gut an“), zeigt Herrmann Fotos der Aufmärsche, an denen sich neben den verschiedenen Gliederungen der NSDAP auch örtliche Vereine sowie Vertreter von Handwerk und Gewerbe beteiligten. Der Erntedanktag schließlich sei, um die Bedeutung der Bauern für die „Volksgemeinschaft“ auszuschlachten, seines christlichen Ursprungs beraubt und „neuheidnisch“ zu einem germanischen Fest umgedeutet worden, mit dem Göttervater Odin beziehungsweise Wotan gehuldigt wurde. Herrmann geht auch auf die Sonnenwendfeiern und den Besuch der Reichsparteitage in Nürnburg durch Walldorfer Parteimitglieder ein.
Zweiter Schwerpunkt von Herrmanns knapp einstündigem Vortrag ist der Reichsarbeitsdienst, der ab 1935 Pflicht war. „Ziel war das Dienen an einem höheren Dienst, die Menschen wurden entindividualisiert, die Arbeit stand im Vordergrund.“ In Walldorf war der Reichsarbeitsdienst laut dem Autor zum Beispiel an der Trockenlegung des Roter Bruchs im Zug des Autobahnbaus beteiligt. Für die jungen Männer gestaltete sich der Dienst „in der Tradition des Soldatentums“, in Uniformen und militärisch geprägt. Die weibliche Jugend sollte dagegen „auf die Rolle der Frau und Mutter vorbereitet“ werden. „Eigenständig denkende, handelnde und selbstbestimmte Frauen waren in der NS-Ideologie nicht vorgesehen“, sagt Herrmann. Das Walldorfer Lager des weiblichen Reichsarbeitsdienstes befand sich im Astorhaus, die Waisen und Armen, die hier vorher gelebt hatten, mussten anderweitig unterkommen. Der Einweihung des zweckentfremdeten Gebäudes 1937 wohnte auch Gauleiter Wagner bei. Ein späterer Besuch von Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl landete im April 1938 auf der Titelseite der badischen NS-Zeitung „Der Führer“. Zwischen 40 und 60 Frauen lebten hier, „das war straff organisiert“. Gearbeitet wurde im Haus oder bei örtlichen Landwirten, zudem in den Nachbargemeinden Reilingen oder Wiesloch, in die die jungen Frauen mit dem Fahrrad fuhren. Herrmann erwähnt auch, dass Bürgermeister Leibfried noch 1939 Bettelbriefe an die Astor-Nachfahren in den USA und England geschickt habe, ohne auf die tatsächliche Nutzung des Astorhauses einzugehen. „Es kam kein Geld und keine Antwort.“
„Das waren zwei Aspekte aus dem Buch“, sagt Herrmann am Ende der Veranstaltung und fügt mit einem Schmunzeln an: „Zur Vertiefung empfehle ich, das Buch zu lesen.“ Das widmet sich mit Kapiteln wie „Kommunalpolitische Gremien und Verwaltung nach 1933“, „Gleichschaltung“ oder „Die Walldorfer Kirchengemeinden im Nationalsozialismus“ noch vielen weiteren interessanten Themen, für „Antisemitismus und Judenhass“ gibt es ebenso ein eigenes Kapitel wie für den „Widerstand gegen das NS-Regime“. Herrmann kündigt an: „Es wird zu dem Thema einen weiteren Stadtrundgang geben.“ Und auch den Vortrag zum Widerstand gegen das Regime, der 2020 ausfallen musste, würde er gerne noch fertigstellen und dann halten. Am Ende gibt es viel Applaus für den Autor und seinen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Walldorfer Geschichte.
Info: Andy Herrmann: „Walldorf im Nationalsozialismus – Gleichschaltung, Verfolgung, Widerstand in einer nordbadischen Kleinstadt“, Verlag Regionalkultur, 196 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3955054306.
Text und Foto: Stadt Walldorf