Die Viola führte aus dem Schatten ins Licht
Das zweite Konzert der Stadt Walldorf in dieser Saison bescherte den zahlreich erschienenen Zuhörern in der Laurentiuskapelle wieder einen ganz besonderen Kunstgenuss. An diesem Abend sollte ein Instrument, das lange Zeit im Orchester nur als Mittel- oder Füllstimme fungierte, aus dem Schattendasein ins Licht geholt werden. Dabei handelt es sich um die „große Schwester“ der Geige, die Viola oder Bratsche. Als Soloinstrument ist sie selten zu hören, auch gibt es nicht viele Kompositionen für dieses voll, weich und dunkel klingende Streichinstrument. Die Musikwelt begann erst mit der aufkommenden Romantik, ein vermehrtes Interesse an der Viola zu zeigen. Aus der Kammermusik ist sie mittlerweile nicht mehr wegzudenken und inzwischen haben einige Komponistinnen und Komponisten anspruchsvolle Werke für sie geschrieben.
Ganz alleine stand die Viola aber nicht auf der Bühne. Zusammen mit dem Klavier bescherte das Duo, bestehend aus dem armenischen Bratschisten Sargis Sarukhanyan und der russischen Pianistin Anastasia Galenina, dem Publikum eine Sternstunde der Kammermusik. Dr. Timo Jouko Herrmann, Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, war es gelungen, die beiden jungen Musiker nach Walldorf zu holen. Beide studieren zurzeit an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Nachdem Herrmann das Publikum begrüßt hatte, ergriff auch Bratschist Sarukhanyan das Wort und kündigte eine Programmänderung an. Franz Liszts „Romance oubliée“ sollte quasi als musikalische Vorspeise vor Brahms‘ Sonate Es-Dur, dem Hauptgericht, erklingen. Nach der Pause würden dann einige musikalische romantische und zeitgenössische Werke als Dessert serviert werden.
Liszts zu Herzen gehende „vergessene Romanze“ zählt zu den wenigen Meisterwerken der Romantik für Viola und ist sicherlich eine der schönsten Duo-Kompositionen dieser Zeit. Wunderschön, wehmütig und anrührend floss die Musik dahin. Die tiefen Klangfarben der Viola kamen gut zur Geltung. Das Publikum konnte sich zurücklehnen und genießen. Die Sonate Es-Dur, op. 120, Nr. 2, ursprünglich für Klarinette und Klavier geschrieben, ist Brahms‘ letztes Kammermusikwerk. Er komponierte sie 1894 für den Klarinettisten Richard Mühlfeld. Dank dessen virtuosem Spiel hatte Brahms seine Rückzugsabsichten vom Komponieren aufgegeben. Wegen des damals noch vorherrschenden Mangels an guten Bläsern verfasste er auch eine alternative Ausgabe für Bratsche. Brahms war allerdings nicht ganz zufrieden damit, da ihm das Klangbild durch die Bratsche etwas zu dunkel wurde. Das liegt daran, dass die Bratsche eigentlich ein bisschen zu klein und daher nicht so kräftig wie etwa ein Violoncello ist. So hatte es auch Bratschist Sarukhanyan nicht leicht, sich gegen den modernen Konzertflügel mit seinem kräftigen Klang zu behaupten, der ihm gewissermaßen ein bisschen die Show stahl. Pianistin Galenina meisterte ihren überaus virtuosen Part bravourös und mit großer Hingabe. Es war faszinierend zu sehen, wie ihre Finger in atemberaubender Geschwindigkeit und in großen Akkorden über die Klaviatur flogen. Beide loteten die Gefühlswelten in diesem anspruchsvollen Alterswerk mit seiner besonderen Mischung aus friedlicher Nostalgie und melancholischer Freude kundig aus. Ein intensiver, konzentrierter Dialog mit „inneren Schönheiten und Herrlichkeiten“ konnte so entstehen.
Liebreizend brachten die Musiker das Allegro amabile zur Geltung. Bratschist Sarukhanyan ließ seine Viola geradezu singen und die schöne Melodie lyrisch erklingen. Leidenschaftlich erklang das Allegro appassionato. Die Pianistin lotete die Klangfülle des Flügels voll aus. Immer wieder kam es zu dramatischen, lauten Ausbrüchen. Dieser zweite Satz lebt von seinen grellen Kontrasten. Das magyarisch anmutende rhythmische Hauptthema verlor sich nach und nach in immer zarteren Wendungen. Beiden Musikern wurde hier eine große Virtuosität abverlangt. Das Andante con moto führte dann zur stillen, in sich gekehrten Ausdruckshaltung des ersten Satzes zurück.
Der zweite Teil des Konzertabends kam beim Publikum sogar noch besser an. Bratschist Sarukhanyan legte seine anfängliche Zurückhaltung nun vollständig ab und ließ die Herzen des Publikums mit seinem beseelten Spiel höherschlagen. Traumhaft schön und melancholisch erklang Henryk Wieniawskis „Rêverie“ fis-Moll. Hier konnte die Bratsche ihre Wirkung voll entfalten. Wegen ihres indirekten, weichen und geheimnisvollen Klangs kann sie nämlich wunderbar klagen. Einfühlsam begleitete die Pianistin den Solisten. Die Künstler harmonierten perfekt miteinander. Es war kaum zu glauben, dass die beiden erst zum zweiten Mal gemeinsam auf der Bühne standen.
Nachdem Sergei Rachmaninows erste Sinfonie zu einem Misserfolg wurde und er in eine schwere Depression verfallen war, schöpfte er mit seinem zweiten Klavierkonzert und der Sonate für Violoncello und Klavier g-Moll op. 19, die beide von Erfolg gekrönt waren, neuen Lebensmut. In einer Bearbeitung für Viola und Klavier durfte das Publikum nun den wunderschönen dritten Satz, mit viel Herzblut interpretiert, aus dieser Sonate hören. Von daher passte dieses Werk auch vortrefflich zum Motto dieses Abends. Aus dem Dunkeln (der Depression) führte der Weg ins Licht. Die Sonate ist voll von melodischem und harmonischem Reichtum und von einer besonderen emotionalen Dichte.
Großen Anklang fanden vier Lieder aus „Siete canciones popolares españolas“ von Manuel de Falla. Diese Sammlung spanischer Kunstlieder entstand in den Jahren 1914/15 und wurde für Mezzosopran und Klavier geschrieben. Die Viola übernahm den Sopran-Part und ersetzte ganz vortrefflich und natürlich die menschliche Stimme. Die Stile und Herkunft der Lieder sind auffallend vielfältig. Sie stehen jeweils für eine andere Region Spaniens und werfen einen Blick auf die Vielfalt der spanischen Kultur. Wunderschöne Melodien, rhythmische Klavierakkorde, Pizzicati und allerlei musikalische Finessen brachten das Publikum zum Schmunzeln. Hier sprühten die Funken nur so. Leidenschaftliche, feurige Klänge wechselten sich mit melancholischen ab. Mit großer Musizierfreude waren die beiden Musiker bei der Sache. Es folgte eine Imitation spanischer Melodien des zeitgenössischen russischen Komponisten Rodion Schtschedrin. Aus seinen „Six pieces for Solo Piano“ erklang „A la Albéniz” in einer Bearbeitung für Viola und Klavier. Sarukhanyan ließ seine Viola über rhythmischen, harten Klavierklängen klagen und singen.
Begeisterten Applaus gab es am Ende für diesen inspirierenden Konzertabend. Ohne Zugabe ließ das Publikum das Duo nicht ziehen. Sarukhanyan hatte noch ein anrührendes, zu Herzen gehendes Werk von Edvard Baghdasaryan aus seiner armenischen Heimat mitgebracht. Als das Publikum immer noch nicht genug hatte, bekam es noch einmal Rachmaninows dritten Satz aus seiner Sonate für Violoncello und Klavier mit auf den Nachhauseweg.
Text: Carmen Diemer-Stachel
Fotos: Stadt Walldorf