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Heinrich Steinfest liest am 11. April in der Stadtbücherei Walldorf aus „Sprung ins Leere“

8. April 2024 | > Walldorf, Allgemeines, Das Neueste, Kultur & Musik, Stadtbücherei Walldorf

 

Die Magie der Kunst

Wenn Heinrich Steinfest seine Geschichten erzählt, mag der unvorbereitete Leser von der Wucht seiner Sprache überrascht werden. Der österreichische Autor, Jahrgang 1961, dessen Werken ein renommierter Kritiker wie Dennis Scheck (zurecht) den Status von Weltliteratur verleiht, ist ein Meister der oft ungewöhnlichen Bilder, die außer ihm vermutlich niemandem in den Sinn kommen. Die cremige Oberfläche einer Tasse Espresso besitzt für seinen Erzähler im einfallenden Sonnenlicht „etwas von der Marsoberfläche“, an einem sonnigen „Marstag, an dem es nur ganz leicht windete“. Und ein inmitten einer Sofalandschaft platzierter schwarzer Couchtisch lässt ihn an den Monolithen aus Stanley Kubricks „2001 – Odysee im Weltraum“ denken, der – und da wird es wieder so skurril wie amüsant – sich entschieden haben soll, „es auch mal kleiner zu versuchen und eine ruhige bürgerliche Existenz zu führen“. Da ist es nur recht und billig, dass Steinfest später im Roman auch den Schöpfer der literarischen Vorlage des Kubrick‘schen Kultfilms zitiert. „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“, hat Arthur C. Clarke behauptet – den Figuren im Buch leuchtet das an der einen oder anderen Stelle durchaus ein. Ähnlich wie Larry Nivens gleichfalls zitierte Umkehrung des Spruchs. Und Steinfests eigene Ableitung, die auch noch die (bildende) Kunst in diese Gleichung einbezieht. Da ist längst klar: Der Magie seiner Kunst kann man sich nur schwer entziehen.

Der Mars, Kubrick und Clarke, das lässt an Science Fiction denken, das Genre, in dem Heinrich Steinfest in den neunziger Jahren seine ersten literarischen Gehversuche unternommen hat. Erfolge hat er dann aber als Krimi-Autor gefeiert, besonders mit seiner 1999 gestarteten, noch andauernden Reihe um den einarmigen Detektiv Cheng (zuletzt „Gemälde eines Mordes“, Piper Verlag, 2023), daneben schreibt er aber vor allem immer wieder Romane, die sich (dankenswerterweise) schwer bis gar nicht kategorisieren lassen.
„Sprung ins Leere“ (Piper, 2024) ist dafür ein wunderbares Beispiel: Die Handlung wird durch die für einen Krimi klassische Suche nach einer vermissten Person bestimmt, die der Protagonistin in der anfangs vermeintlichen Aussichtslosigkeit Herausforderungen in der Art einer mittelalterlichen Queste beschert, das mit dem mühsamen Sammeln von Hinweisen wie in einem der frühen Computer-Adventures kombiniert, und sie zwischendurch mit Action-Szenen konfrontiert, die zwar Hollywood mit leichter Hand auf die Leinwand projiziert, hier aber dennoch sehr ambivalent wirken: einerseits passend, weil das Filmemachen im Roman eine wichtige Rolle spielt, andererseits aber auch ein deutlicher Bruch mit der Lebenswirklichkeit der handelnden Personen, die – Suche nach der seit sechzig Jahren verschwundenen Großmutter hin oder her – mit sich aus Hubschraubern stürzenden Spezialkommandos und Kalter-Krieg-Verschwörungen restlos gar nichts am Hut haben. Und da ist noch mehr: Neben der Welt des Films spielt vor allem die Kunst eine sehr große Rolle in diesem Roman, der seinen Titel aus einer berühmten Fotografie des Franzosen Yves Klein (1928-1962) ableitet. Dass der Autor Steinfest früher ebenfalls als Künstler gewirkt hat, ist nie deutlicher als in „Sprung ins Leere“ geworden, das eine ganze Reihe von echten und erfundenen Kunstwerken so schlüssig und unterhaltsam analysiert, dass sich an die Lektüre unweigerlich ein Museumsbesuch anschließen muss. Steinfest würde vielleicht schreiben: Der sich ja immer lohnt.

 

 

„Klara Ingold arbeitet im Kunsthistorischen Museum in Wien. Sie ist beseelt von einer tiefen Liebe zu den Gemälden. Deshalb interessiert sie sich anders als ihre Mutter auch für die künstlerische Hinterlassenschaft ihrer ungeliebten Großmutter Helga, die die Familie 1957 ohne ein Wort verließ – und deren Werke jetzt in einer Lagerhalle wieder entdeckt werden. Darunter findet sich eine Fotografie, die einen vagen Hinweis liefert, wohin sie gegangen sein könnte. Klara Ingolds emotionale Spurensuche führt nach Japan, zu einem Gemälde mit dem Titel ‚Die blinde Köchin‘, das vielleicht ihre Großmutter zeigt“, fasst der Klappentext von „Sprung ins Leere“ die Handlung ebenso knapp wie nur unzureichend zusammen. Schon auf den ersten Seiten liefert der Roman dem Leser weit mehr: die Beziehung Klara Ingolds zu ihrer Mutter Britta, und mehr noch, deren Nicht-Beziehung zu wiederum ihrer Mutter, der erwähnten, spur- und wortlos verschwundenen Helga, der erst mysteriöse, dann sehr greifbare Mittagsmann, eine Reise nach Wuppertal, das Steinfest so verwunschen und bildreich schildert, als wäre es Tolkiens Auenland, und schließlich, faszinierender noch, die Verlagerung der Handlung nach Japan, wo auch die simpelsten Verrichtungen einen exotischen Anstrich erhalten. Duschen im Sitzen? Der Roman liest sich wie ein Gedicht.

 

 

Heinrich Steinfest ergötzt sich gerne an Details, lässt sie in seiner wunderbaren Sprache funkeln. Die Handlung scheint ihm dafür mehr Vehikel als Ziel. Selbst sein Erzähler muss dann anmerken, dass manches Geschehene zwar nicht restlos logisch scheine, die Realität aber auch nicht immer logisch sei. Das mag, nüchtern betrachtet, auf den letzten der fast fünfhundert Seiten ein wenig unbefriedigend sein, wird aber durch viel Lesegenuss aufgewogen: Der Autor ist ein Meister der Sprache, klug, hintergründig und auch ganz ungehemmt witzig und jede Minute der Lektüre wert. Dass der heute in Wilhelmsfeld lebende Steinfest kürzlich gesagt hat: „Für mich ist Schreiben wie Atmen, dazu muss ich mich nicht zwingen“, und behauptet, dass er das Gegenteil einer Schreibhemmung habe, nämlich einen „Schreibzwang“, lässt auf viele weitere, mindestens ebenso großartige Romane hoffen.

Info: Heinrich Steinfest ist am Donnerstag, 11. April, 20 Uhr, mit „Sprung ins Leere“ in der Stadtbücherei Walldorf zu Gast. Karten zu 8 Euro gibt es in der Stadtbücherei und in der Buchhandlung Dörner in Walldorf.

Text: Stadt Walldorf
Fotos: Stadt Walldorf/privat

 

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