Von der Vogelinsel nach Walldorf
„Die Vögel hatten ihren Tagesablauf und ich hatte meinen. Manchmal trafen wir uns“, schreibt Sanna Konda im Entwurf ihres Romans „Wie ein Vogel leben“.
In ihrer Zeit als Gastkünstlerin in Walldorf könnte daraus ein fertiges Buch werden. Mitte August hat die aus Ostfriesland stammende Autorin die städtische Künstlerwohnung in der Scheune Hillesheim bezogen. Seither beschäftigt sie sich nicht nur mit ihrem Roman, sondern hat auch ein „Walldorfer Tagebuch“ angefangen, um daneben über anderes zu schreiben und ihre Erfahrungen in der Region zu reflektieren. Wann wird sie ihre Zeit in der Astorstadt für sich selbst als Erfolg werten? „Wenn man etwas zum Schreiben findet“, sagt sie, überlegt kurz und präzisiert: „Wenn ich aus dem Leben hier poetisches Potenzial herauskitzeln kann.“ Und dass das der Fall sein werde, könne sie schon nach wenigen Tagen in Walldorf sagen.
„Es steht schon jetzt fest, dass das ein Gewinn für Walldorf sein wird“, meint Bürgermeister Matthias Renschler, der die Autorin schon kurz nach ihrer Ankunft gemeinsam mit Heike Käller (Fachdienst Kultur und Sport) auf einer Fahrradtour in die Wagbachniederung begleitet und dabei näher kennengelernt hat. Im ornithologischen Nahreservat zwischen Waghäusel und Neulußheim konnten die Walldorfer der Gastkünstlerin einen europaweit wichtigen Brut- und Rastplatz für heimische und durchziehende, auch vom Aussterben bedrohte Vogelarten zeigen. „In Ostfriesland kennen wir viele dieser Vögel nicht“, erzählt Sanna Konda, dort seien vor allem Wattvögel heimisch. Hier habe sie natürlich gleich die Störche gesehen.
Ihre eigene Begeisterung für die gefiederten Freunde begleite sie schon ein Leben lang. Und so schickt sie jetzt in ihrem Roman eine junge Frau für ein halbes Jahr auf eine einsame, nur von Vögeln bewohnte Insel, um dort die Tiere zu zählen, um herauszufinden, wer nistet und brütet. „Sie ist ganz auf sich allein gestellt, das ist ein bisschen ein Entwicklungsprozess“, erzählt die Autorin. Und zu den Vögeln entstehe durch das Nebeneinander eine gewisse Nähe. „Um die Nähe geht es im Buch“, sagt sie. Und: „Es ist gesellschaftlich interessant, wie Menschen und Vögel miteinander leben.“ Die Tiere hätten sich oftmals gut an den Menschen angepasst, „aber auch wir leben mit den Vögeln“.
Aus einer Vielzahl an Einsendungen auf die entsprechende Ausschreibung hin haben Sanna Kondas Texte die Walldorfer Jury auf Anhieb überzeugt. Der Heidelberger Schriftsteller Marcus Imbsweiler, Barbara Grabl, die Leiterin der Stadtbücherei, und Armin Rößler (Leiter der städtischen Öffentlichkeitsarbeit) waren sich in ihrer Bewertung einig und setzten Kondas Bewerbung ganz oben auf die Liste. Dabei überzeugten vor allem ihre klare Sprache und das originelle Thema des Romans. Mit dem Stipendium der Stadt kann die Autorin für sechs Monate kostenlos in der Künstlerwohnung leben und erhält darüber hinaus eine Aufwandsentschädigung von monatlich pauschal 600 Euro. „Das ist ein super Zeitgeschenk“, sagt Sanna Konda. Das sei wichtig für den literarischen Prozess. Erste Gastkünstlerin der Stadt Walldorf war 2008 die Bildhauerin Edith Rugel. Zuletzt hatte Fotograf Wolfgang Folmer 2021 die Künstlerwohnung bezogen. Ihm folgt nun Sanna Konda als schon achte Gastkünstlerin und zweite Literatin nach Bastian Schneider (2015/16).
Sanna Konda ist 1985 in Münster geboren, lebt in der Stadt Norden in Ostfriesland und hat bisher vor allem Gedichte und Kurzgeschichten veröffentlicht. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin widmet sich allem, „was mit Literatur zu tun hat“, arbeitet für Universitäten und ist als selbstständige Lektorin tätig. Und sie hat ein Beispiel dafür dabei, wie klein doch die Welt ist: „Mein Mann kommt aus New York“, sagt sie. Seit er wisse, dass sie nach Walldorf gehe, habe er intensiv zu Johann Jakob Astor recherchiert, Walldorfs berühmtesten Sohn, der in den USA zum reichsten Mann seiner Zeit wurde, und ihr schon viel über ihn erzählt. Astor kenne man im „Big Apple“ auch heute noch, „er hat die Stadt mit aufgebaut“.
Nach Walldorf hat Sanna Konda „eine gewisse Offenheit“ mitgebracht, „sich vom Leben überraschen zu lassen“. Sie zeigt sich begeistert davon, dass ihr schon einige Walldorfer „ihre Lieblingsplätze“ gezeigt und so ganz spezielle Eindrücke vermittelt haben. Neben dem Schreiben will sie in Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei und den Schulen beispielsweise mit Workshops oder Lesungen vor allem junge Menschen mit der Welt der Literatur in Berührung bringen.
Text und Fotos: Stadt Walldorf