Gemeinderat billigt aktualisiertes Einzelhandelskonzept – Zentrum hat sich verlagert
Als wichtiges „informelles Planungsinstrument, das Entwicklungslinien skizziert“, bezeichnete Stadtbaumeister Andreas Tisch das Einzelhandelskonzept, dessen Entwurf er in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats am 5. Mai vorstellte. Der Gemeinderat billigte den Entwurf und beschloss dessen Offenlage vom 25. Mai bis 26. Juni.
Die Ist-Situation des Einzelhandels in Walldorf im Jahr 2019 und die Entwicklungsperspektiven mit einem Zeithorizont bis ins Jahr 2030 untersuchte ein Gutachten, das die Stadt bei dem Büro Dr. Donato Acocella für Stadt- und Regionalentwicklung (Lörrach) in Auftrag gegeben hatte. Es handelt sich hierbei um die Fortschreibung der im Jahr 2002 von diesem Büro durchgeführten Einzelhandelsuntersuchung.
Das aktuelle Gutachten, so Bürgermeisterin Christiane Staab, liefere die Basis für das städtebauliche Entwicklungskonzept, das der Gemeinderat zu einem späteren Zeitpunkt beschließen solle. Die seit 2002 veränderte Versorgungssituation hätte ein aktuelles Gutachten erfordert, so Staab. Ihr Dank galt vor allem der Abteilung Werbegemeinschaft des Gewerbevereins Walldorf, die sich bei den Einzelhändlern erfolgreich für eine Beteiligung an der freiwilligen Umfrage stark gemacht hätte. Die Erhebung der Daten sei in eine Zeit gefallen, in der man von der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen noch nichts haben ahnen können.
Das Büro Acocella attestierte Walldorf eine überdurchschnittlich hohe Umfragebeteiligung von 87 Prozent der Einzelhändler, die bei den persönlich geführten Gesprächen Rede und Antwort standen. Die Befragung fand im August 2019 bei 71 Betrieben statt. Diese verfügen über eine Verkaufsfläche von insgesamt rund 39.650 Quadratmetern und gaben ihren Umsatz im Jahr 2018 mit rund 193,1 Millionen Euro an (Näheres zu den Ergebnissen der Befragung siehe gesonderter Artikel).
Zentrum klar abgrenzen
Für die städtebauliche Entwicklung Walldorfs spielen das Gutachten und das daraus resultierende Einzelhandelskonzept eine wichtige Rolle, um das Zentrum klar zu definieren, vor unerwünschten Entwicklungen zu schützen und weiterhin städtebaulich attraktiv zu gestalten. „Nur wenn klar ist, welcher Bereich einer Gemeinde als zentraler Versorgungsbereich zu sehen ist, kann geprüft werden, ob dieser geschützt werden soll“, so das Gutachten. Ziel ist ein lebendiger Einzelhandel, sowohl quantitativ als auch qualitativ, in Zeiten zunehmenden Onlinehandels. Stadtbaumeister Tisch wies auch darauf hin, dass Investoren „verlässliche Rahmenbedigungen“ bräuchten und wissen müssten, welche Versorger wo angesiedelt seien.
In der projektbegleitenden Arbeitsgruppe wirkten Vertreterinnen und Vertreter der Stadt, der Werbegemeinschaft Walldorf, des Regierungspräsidiums, des Einzelhandelsverbandes, der Industrie- und Handelskammer und des Regionalverbands mit. Das Umfrageverfahren entsprach dem von 2002, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Neu hinzugenommen wurden Apotheken, Lebensmittelhandwerk und Tankstellenshops, sofern diese Nahrungs- und Genussmittel in ihrem Sortiment haben. Stadtbaumeister Andreas Tisch erwähnte „die überdurchschnittliche Versorgungssituation Walldorfs“, wobei Ikea das Bild „verzerre“. In der Hauptstraße finde man, so Tisch, eine „kleinteilige Struktur“ mit überwiegend inhabergeführten Geschäften vor. Es stünden „keine allzu großen Flächen zur Verfügung“. Begrenzte Potentiale wegen fehlender Flächen bestätigt das Gutachten mit Blick auf die zukünftige Funktionsfähigkeit der Innenstadt. „Wir müssen alles dafür tun, dass der Einzelhandel im Zentrum stattfindet“, erklärte Tisch, der das Einzelhandelskonzept als „nützliche Richtschnur und Leitplanke“ für die Bauleitplanung sieht.
Gegenüber dem 2002 erstellten Gutachten wurde deutlich, dass sich der zentrale Versorgungsbereich Walldorfs in den letzten Jahren nach Osten verschoben hat. Dies auch durch die städtebaulich gewollte Entwicklung der „Drehscheibe“, um die Innenstadt zu stärken. Auf dem offengelegten Entwurf reicht der zentrale Versorgungsbereich Walldorfs unverändert im Westen von der „Alten Apotheke“ in der Hauptstraße über die „Drehscheibe“ bis zum Bereich des Rathauses im Osten, der neu hinzugenommen wurde und damit den Innenstadtbereich ausweitet. Wie in anderen Städten auch, ist laut Gutachten die Anzahl der Einzelhandelsbetriebe in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren deutlich zurückgegangen. Die Nahversorgung stellt sich laut Analyse des Büros Acocella durch die integrierten Nahversorgungsstandorte in Walldorf aber positiv dar. Neben dem Einzelhandelsangebot werden die wesentlichen Dienstleistungen im Stadtkern und der Bahnhofstraße angeboten.
Einflussmöglichkeiten nutzen
Das frühere Einzelhandelskonzept müsse erneuert und den gegenwärtigen Anforderungen und Verhältnissen angepasst werden, stellte Stadtrat Mathias Pütz (CDU) fest. Die Einflussmöglichkeiten der Kommunalpolitik seien begrenzt und beschränkten sich auf die Infrastruktur mit Straßen und Parkmöglichkeiten, auf günstige Bedingungen bei den Abgaben und auf eine attraktive Stadtgestaltung. Er hob die „fundierte Datensammlung“ des Gutachtens für künftige bauliche Entscheidungen hervor. Auch die Beteiligung der Öffentlichkeit durch die Offenlage und den Auftrag, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, hob Pütz hervor. Er erwähnte außerdem die „Verpflichtung“, stärker im Bereich der Gewerbeimmobilien tätig zu werden.
Stadtrat Manfred Zuber (SPD) billigte den Entwurf ebenfalls. Im Vergleich zum Konzept von 2002 seien die Steuerungsgrundsätze im Sinne der Stärkung der Innenstadt und der Nahversorgung differenziert und ergänzt worden, so Zuber. Die Aktualisierung des Gutachtens sei auch sehr wichtig, da die Entwicklungsmöglichkeiten im Einzelhandel angesichts der Größe Walldorfs und der Nähe zu Heidelberg und Mannheim „nicht gerade einfach“ seien. Auch wenn das Einzelhandelskonzept nicht rechtlich verbindlich sei, habe es „große praktische Relevanz“. Es zeige die Zielvorstellungen der Stadt auf. Zuber sprach auch die Rolle von Ikea an, das die überdurchschnittlich hohe Gesamtbindungsquote von 163 Prozent „ganz gewaltig verzerrt“. Diese Quote sei durch den langfristigen Bedarf, zu dem Möbel gehörten, stark beeinflusst. Von Ikea ließen sich aber leider keine Rückkopplungsgewinne erzielen.
Als „wichtige Grundlage für die Stadtplanung“ sah auch Stadtrat Maximilian Himberger (Bündnis 90/Die Grünen) das Einzelhandelskonzept. Man brauche kurze Wege zur Nahversorgung, ein attraktives Zentrum und müsse Leerstände vermeiden, so Himberger. Er wollte wissen, ob es gelingen könne, ein Sportfachgeschäft nach Walldorf zu holen. Dies sah Bürgermeisterin Christiane Staab kritisch. Hierfür habe Walldorf im Zentrum kein Flächenpotential und auf der grünen Wiese wolle man ein solches Geschäft nicht ansiedeln, erklärte sie.
Stadtrat Dr. Günter Willinger (FDP) sah in dem Konzept einen formalen Rahmen, der die Planung städtischer Vorhaben erleichtere, aber nichts über „Chancen und Risiken“ für Einzelhändler aussage. „Wir alle wünschen uns ein vielfältiges Angebot, das aktuell jedoch sehr gefährdet ist“, meinte er. Der Onlinehandel boome. Die Stadt könne nur stärker steuern, wenn sie Gewerbeimmobilien erwerbe.
Durch die „Drehscheibe“ hat sich der zentrale Versorgungsbereich Walldorfs nach Osten verschoben
Text: Stadt Walldorf
Foto: Pfeifer