Wir verbringen immer mehr Zeit am Computer. Gleichzeitig haben wir das Gefühl, uns nichts mehr merken zu können. Professor Manfred Spitzer ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Mit dem Schlagwort von der „digitale Demenz“ machte sich der streitbare Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer mächtige Feinde. Ihn als Auftaktredner der Fachtagung „Prävention und Ethik“ in die Polizeidirektion einzuladen, beweist Mut und Weitsicht zugleich. Denn er lässt niemanden kalt, egal, ob man seine Thesen in allen Details teilt oder nicht. Und er macht nachdenklich, wenn er Phänomene, die allenthalben zu beobachten sind, aus der Funktionsweise unseres Gehirns und unserer Synapsen erklären.
Der 54-Jährige Familienvater Manfred Spitzer ist ein streitbarer Geist. Kämpferisch und dünnhäutig wirkt der Professor mit den zwei Doktortiteln, gleichzeitig telegen, akademisch und um eine populäre Aussage nie verlegen. Dabei ist er keinesfalls ein plumper Technikverweigerer. Wenn es sein muss, spitzt er aber die Dinge so brutal zu, dass es auch der Letzte noch begreift. Irgendwie befindet sich der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm auch auf einer Mission, die etwas von einem Kreuzzug hat. Er hat mächtig einstecken müssen und er teilt aus. Nur an zwei Punkten wirkt er verletzlich: Wenn man ihn wissenschaftlicher Unredlichkeit bezichtigt und wenn er von den „kaputten Existenzen“ seiner computersüchtigen Patienten erzählt, die nicht einen Freund im realen Leben haben und in einen Eimer pinkeln, um keine Sekunde ihres virtuellen Spiels zu verpassen.
Bei all dem kann dieser Hochschullehrer auch noch verflixt gut erklären. Zum Beispiel das mit der Gedächtnisspur, die eben nicht gelegt ist, wenn wir eine Route immer nur mit Navigationsgerät gesucht und gefunden haben. „Je mehr sie auslagern, desto weniger ist dann da drin“, so bringt er das Phänomen mit der „Digitalen Demenz“ auf den Punkt. Das Gedächtnis wird so zu einem oberflächlich dahin wabernden Strom von Teilchen, das Gehirn zu einer Ansammlung flach wurzelnden Wissens. Tiefe Sorge bereitet ihm vor allem der stetig zunehmende Konsum elektronischer Medien durch Kinder und Jugendliche. Das gehe schwer zu Last des eigenen, aktiv tätigen Lernens. „Wie ein Muskel wird auch das Gehirn nur dann trainiert, wenn man es wirklich fordert“. Richtig sauer wird Spitzer, wenn Initiativen von Politik und Industrie fordern, alle Schüler mit Notebooks auszustatten. Hier vermutet er nicht nur blankes Unwissen sondern skrupellose kommerzielle Interessen. Dann schreckt er auch vor brachialen Vergleichen nicht zurück. „Gegenüber Facebook war die Stasi ein Kaffeekränzchen“, poltert er dann polemisch, und wirkt, als wolle er sagen: „Hier stehe ich nun, ich kann nicht anders“.
Text: Kirsten Baumbusch
Quelle: Polizeidirektion Heidelberg