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Aus dem Walldorfer Tagebuch von Gastkünstlerin Sanna Konda

15. Januar 2025 | > Walldorf, Allgemeines, Das Neueste, Kultur & Musik

Sanna Konda empfiehlt Marie Gamillschegs (2.v.li.) Roman „Aufruhr der Meerestiere“. Ein Exemplar können Interessierte in der Stadtbücherei ausleihen. (Foto: privat)

Im Namen des Vaters, des Landes und der Literatur

Zur Vorbereitung einer Tagung zu österreichischer Gegenwartsliteratur brauche ich Marie Gamillschegs Roman „Aufruhr der Meerestiere“, also mache ich in unserer Walldorfer Stadtbücherei einen Anschaffungsvorschlag. Dieser wird mit Skepsis aufgenommen: Das wird bestimmt kein Ausleihrenner, heißt es. Trotzdem wird das Buch (hoffentlich nicht nur) für mich angeschafft. Ich bin beschämt, der Bücherei einen angeblichen Ladenhüter aufzudrücken, aber auch stolz, dass ich einen Geheimtipp ins Programm schmuggle.

„Ein Tanz des Ausweichens“

Warum ich von dem Buch trotz all der begeisterten Rezensionen und Empfehlungen bisher selber die Finger gelassen habe, wird mir bei der Lektüre sofort klar. Vater und Tochter des Romans verpassen sich unentwegt. Das permanente Ausweichen scheint eine Art Tanz zu sein, dessen Schritte mir auf unheimliche Weise nur allzu bekannt vorkommen. Jedes Mal, wenn ich mir vornehme, meinen Vater anzurufen, entfällt mir das aus unerklärlichen Gründen genau bis zur Tagesschau, also dem Zeitpunkt, ab dem ein Anruf das Abendprogramm meines Vaters stören würde und von mir deswegen auf unbestimmte Zeit verschoben wird.

Wenn es doch manchmal wie zufällig zum Gespräch kommt, ist dieses von einer Liebe getragen, die den ganzen Tanz des gegenseitigen Ausweichens absurd erscheinen lässt. Einen Moment lang scheint es, als wäre die Distanz aufgebrochen und könnte verabschiedet werden. Wir können ja miteinander reden, wir verstehen uns, stellen wir überrascht fest, warum machen wir es uns eigentlich so schwer? Nach dem Telefonat allerdings fängt das Spiel des Ausweichens und Unterlassens von vorne an. Die Kräfte, die da am Werk sind, kommen gar nicht aus unserer Beziehung, scheint mir, die so schlecht nicht ist, sondern sind uralt – mindestens genauso alt und genauso wenig greifbar wie die Quallen in Marie Gamillschegs Roman.

Von Familiengesetzen, kindlichem Misstrauen und dem Trost fließender Texte

Dass es die Aufgabe des Kindes ist, die Eltern anzurufen, ist eines dieser Gesetze in meiner Familie, die uns schon seit Generationen das Leben vermiesen. Aus allerfrühsten Kindheitstagen erinnere ich mich an die Qual meines Vaters, wenn es schon längst wieder an der Zeit war, die Großeltern anzurufen. Ich erinnere den zum Bersten angespannten Körper auf dem Sofa kurz vor dem Anruf und die Konzentration auf die Stimmlage der aufgesetzten guten Laune. Der unverbindliche Plauderton als Zuflucht. Das Kind, das ich damals war, misstraute der guten Laune zutiefst, die bis lange nach dem Anruf blieb und in unsere Kleinfamilie hineinschwappte. In der Erleichterung, das lang Aufgeschobene endlich erledigt zu haben, war sie längst nicht mehr aufgesetzt, aber in meinem kindlichen Schrecken konnte ich das nicht unterscheiden.

Wenn mir der Vater-Tochter-Konflikt im Buch zu nahe auf die Pelle rückt, konzentriere ich mich auf den Klang des Textes, der fließt und plätschert, der schimmert und leuchtet, flattert und flimmert, der schwebt und schwankt und schaukelt. Dieser flüssigen und leuchtenden Bewegung des Textes kann ich mich bedenkenlos anvertrauen. Das ist ein guter Trost.

Zwischen Vater-Tochter-Distanz und literarischen Begegnungen

Mit dem Buch im Gepäck reise ich nach Polen. Am Tagungstag im herbstlich leuchtenden Lodz kommt viel zusammen: Es ist nämlich noch dazu der Geburtstag meines Vaters und der Österreichische Nationalfeiertag. Mitten zwischen den angeregten Diskussionen eines sehr einnehmenden Tagungsprogramms fällt mir der Geburtstag ein. In einer fünfminütigen Pause rufe ich meinen Vater an, alle meine sonst so vernachlässigten Bauchmuskeln sind angespannt. Er hebt nicht ab. Allzu lange habe ich es aber auch nicht klingeln lassen. Erst nach dem zweiten Bier beim Abendessen in großer Runde fällt mir mein Vater wieder ein und ich schreibe ihm schnell eine Nachricht. Zwei Sätze, einer davon ist eine ziemlich austauschbare Glückwunschformel. Obwohl es nach zehn Uhr ist, antwortet er prompt. Drei Sätze. Einer davon ist bestimmt kein Vorwurf, keine Aufforderung, sondern nur eine ziemlich zutreffende Feststellung: Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört.

Nach dem Abendessen signiert die Autorin ihre Bücher. Ich reiche Marie Gamillscheg das Exemplar aus der Stadtbücherei Walldorf für eine Widmung. Nicht für mich, sage ich, sondern für alle, die dieses Buch ausleihen und lesen werden. Hoffentlich viele.

PS: Aber doch nicht so schnell, liebe Walldorferinnen! Noch während ich in Polen unterwegs bin, erreicht mich die automatisierte Nachricht aus der Walldorfer Stadtbücherei, ich müsse das Buch innerhalb von drei Tagen zurück bringen, weil jemand anders es vorgemerkt hat. Erst sechs Tage später, als ich mitten in der Nacht von Frankfurter Flughafen zurück nach Walldorf komme, werfe ich es heimlich in den Rückgabekasten vor der Bücherei. Möge es weitere glückliche Leser finden, die im Strudel der Sprache mit den Quallen schweben wollen!

Text: Sanna Konda
Foto: Stadt Walldorf

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