Ausflug zu den Vögeln
Der Bürgermeister hat die schöne Idee, mir zur Inspiration die Wagbachniederung, ein Vogelschutzgebiet, zu zeigen. Tatsächlich haben wir es alle – Matthias, Heike, ihr Mann und ich – geschafft, um sechs Uhr in der Früh aufzustehen und auf unseren Fahrrädern dorthin zu radeln. Wir stapfen durch das hohe Gras, links und rechts von uns erstrecken sich kleinere und größere Sümpfe und Seen. Ich bin vor allem müde, sogar mein Fernglas habe ich vergessen. Ich glaube, Seidenreiher zu sehen, von denen ich kurze Zeit später nicht mehr sagen kann, ob deren Vorkommen hier nicht mehr als unwahrscheinlich ist und ob es nicht doch die Hälse von Schwänen gewesen sind. Heikes Mann hält eine Taube für einen Buntspecht – wir scheinen alle nicht ganz beieinander. Dann sehen wir auch noch einen Vogel, dessen Namen mir beim besten Willen nicht einfällt, Kernbeißer vielleicht. Beim Versuch, ihn in meiner App zur Vogel-Identifizierung nachzuschlagen, erweist er sich als inexistent.
Für den Bürgermeister sind das alles einfach Vögel. Es gibt einen Moment von großer Begeisterung bei ihm, als wir in dieser Wildnis drei waschechte Ornithologen entdecken, mit kakifarbener Tarnkleidung, Sonnenschutzhüten, die man unterm Kinn zusammenbindet, und jeder Menge Ausstattung. Kurz bleiben wir stehen und betrachten andächtig diese fremde Menschenspezies, deren spezielle Fähigkeiten uns an diesem Morgen abgehen.
Auf dem Weg zurück nach Walldorf – wir machen erst noch einen Abstecher zur Eremitage und fahren dann bei Reilingen durch ein herrlich schönes Waldstück – komme ich angesichts des Tempos des Bürgermeisters ziemlich aus der Puste und muss zuhause erstmal ein Nickerchen machen. Trotz Unmengen an Kaffee muss ich mich für den Rest des Tages mit meiner Nutzlosigkeit abfinden. Ich fahre ins Freibad und lümmle da herum. Ich schwimme ein paar Runden im Badesee und habe das Gefühl, ich bin noch nie in meinem Leben so langsam geschwommen, eigentlich müsste ich untergehen. Ich drehe mich auf dem Rücken und lasse mich treiben. Während ich auf dieser Grenze zwischen Himmel und Wasser liege, getragen von einer famosen Oberflächenspannung, da gibt es auf der Welt nichts mehr außer dem Himmel. Erst ist alles nur blau, aber die Wolken staffeln sich in verschiedenen Schichten, und eine irre Tiefe entsteht vor meinen Augen. Der Himmel kommt mir wie ein unendlicher Abgrund vor. In einer plötzlichen Ausdehnung des Raumes ist diese Tiefe auch unter Wasser da, als wäre der Badesee hinter meinem Rücken tief wie der Himmel, und ich schwebe in der Mitte von diesen beiden unendlichen Räumen.
Und dann entdecke ich die Flieger. Der Fluglärm, der schon den ganzen Tag in der Luft liegt, jetzt aber vom stillen Wasser um mich gänzlich verschluckt ist, zeigt sich hier als zwei wunderschöne Flugzeuge. Sie steigen in den Himmel, lassen sich fallen, umkreisen einander und führen einen lautlosen Tanz am Himmel auf, der scheinbar nur für mich bestimmt ist, die ich ebenfalls mitten im luftleeren Raum schwebe. Die Flieger sind der Beweis: Die Schwerkraft gilt für niemanden mehr.
Text: Sanna Konda
Foto: Stadt Walldorf