Raus aus der Komfortzone
Für viele Menschen ist der Winter nicht gerade die schönste Zeit im Jahr: oft (nass-)kalt und im Vergleich zum Sommer vor allem ziemlich dunkel. Wer käme da auf die Idee, den Winter in der Antarktis zu verbringen, wo die Verhältnisse um ein Vielfaches extremer sind als in unseren Breitengraden? Die Ärztin Aurelia Hölzer hat genau das gemacht und sich für rund ein Jahr als Teil eines neunköpfigen Teams auf die antarktische Forschungsstation Neumayer III begeben. Über ihren Alltag in dieser Zeit hat Hölzer das Buch „Polarschimmer“ geschrieben, das sie in der Stadtbücherei vorstellt.
Es sind extreme Bedingungen, unter denen Hölzer mit ihrem Team auf dem „Kontinent der Superlative“ lebte, ihre Erzählungen und zahlreiche Bilder sowie Videos untermauern das bei ihrem Auftritt eindrücklich. Schon als Elfjährige habe sie ein Buch gelesen, das sie von Spitzbergen begeisterte und träumen ließ. Ein Sabbatjahr führte sie letztendlich als Erwachsene zumindestens nach Norwegen und Alaksa. „Es war so fantastisch“, schildert sie diese Erfahrung. Die Bewerbung auf die Anzeige, mit der ein Arzt oder eine Ärztin für die Forschungsstation Neumayer III gesucht wurde, sei für sie die logische Konsequenz gewesen, auch wenn das „ziemlich weit weg von der Zivilisation“ sei, wie sie anmerkte.
Das Ziel der Forschungsarbeit auf Neumayer III, die vom Alfred-Wegener-Institut betrieben wird und auf der ganzjährig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leben, ist laut Hölzer, „das System Erde zu verstehen“. Zu Hölzers Team gehörten Meteorologen, Physiker und Ingenieure, aber auch ein Koch. Aurelia Hölzer erfüllte als ausgebildete Gefäßchirurgin ebenfalls eine wichtige Funktion: Schließlich sind die ÜWIs, die Überwinternden, wie sich die Besatzungsmitglieder selbst nennen, während der sieben Wintermonate auf sich alleine gestellt. Das heißt, dass auch im Notfall keine Hilfe von außerhalb zur Forschungsstation vordringen kann.
Vier Monate sei sie mit ihren Teammitgliedern intensiv auf den Einsatz auf der Neumayer III vorbereitet worden, dazu gehörten unter anderem ein Bergkurs samt Eisklettern, bei dem sie sich prompt verletzt habe, und Brandschutzkurse („In der Antarktis sind wir unsere eigene Feuerwehr“). Aurelia Hölzer machte zudem eine Fortbildung als Zahnärztin, was sich später noch als notwendig herausstellen sollte. Zwei aus ihrem Team wurden ebenfalls medizinisch geschult, um Hölzer assistieren zu können. Da wurde schon mal die Blutentnahme am Küchentisch in der WG geprobt, wie Hölzer in einem kleinen Video amüsiert zeigte.
Mit dem Eisbrecher „Polarstern“ startete schließlich von Kapstadt aus die „unglaubliche Anreise“. Die letzten Kilometer zur Station legte sie mit dem Hubschrauber zurück. „Nichts als Eis, Eis und Eis“, gab Hölzer ihre ersten Eindrücke über ihr „einzigartiges neues Zuhause“ wieder. Bevor das letzte Versorgungsflugzeug abhob und das Forschungsteam für lange Zeit auf sich gestellt zurückließ, bewies dieses zum Abschied viel Humor: Auf einem Schild stand „Flieht, ihr Narren“ – eine Anspielung auf ein Zitat aus dem Film „Der Herr der Ringe – die Gefährten“. Aurelia Hölzer liest Passagen aus ihrem Buch, erzählt über die Abläufe auf der Station, die Ausfahrten in die für Menschen absolut lebensfeindliche Umgebung und schwärmt von „unglaublicher Weite“.
Sie beschreibt die regelmäßigen Übungen im Stations-Krankenhaus sowie beim Brandschutz. Vor allem aber: „Ununterbrochen werden wissenschaftliche Daten erhoben“, so Hölzer, die vor Ort unter anderem für die NASA medizinische Forschung betrieb. Sie habe aber die Kollegen auch bei deren Aufgaben unterstützt, etwa bei der Geländeerkundung. „Raus aus der Komfortzone“, beschreibt sie den für sie als Ärztin ungewohnten Alltag. Und immer wieder schwärmt Hölzer von der guten Stimmung im Team, der gegenseitigen Unterstützung über das eigene Arbeitsfeld hinaus. Beispielsweise wurde in der Küche ausgeholfen („Ich habe einen Apfelstrudelkurs gemacht“), manchmal gab es gemeinsame Kochevents. „Wir waren einander Freunde und Familie“, schildert Hölzer die enge Bindung zu ihren Kollegen. Man habe Spiele erfunden, Filme gedreht, Sportfeste veranstaltet und neue Sprachen gelernt. Letzteres war auch ein Hinweis auf die tierischen Nachbarn: Mitglieder einer Pinguinkolonie näherten sich immer wieder neugierig den Forschern und die gegenseitige verbale Kontaktaufnahme wurde auf Video festgehalten und dem amüsierten Walldorfer Publikum vorgespielt.
Besonders beeindruckend waren die zahlreichen Landschaftsaufnahmen, die Hölzer zeigte und mit „gespenstisch“, „unwirklich“ oder „einfach nur schön“ kommentierte. Dazu zählten auch die unzähligen Eindrücke der Polarlichter am Himmel. Die dunkle Jahreszeit sei für sie am schönsten gewesen. Ein Erlebnis mit den Kollegen bei einem Außeneinsatz mit einem Moment völliger Stille und Dunkelheit begleite sie bis heute. Es sei ein „unfassbar schöner Arbeitsplatz“ gewesen, fasst Hölzer zusammen, die die Rückkehr in die „Wirklichkeit“ unmittelbar danach als gar nicht so einfach beschreibt: „Man ist sehr sensibel und ein bisschen eine Schneeflocke geworden.“ Das bestätigt auch Geophysikerin Alicia, die mit ihr auf der Station war und unter dem Applaus des Publikums von Hölzer zusammen mit Köchin Eva, Mitglied der Nachfolgecrew, auf die Bühne geholt wird. Zusammen geben auch sie ihre persönlichen Eindrücke wieder und beantworten die Fragen des Publikums.
Text und Foto: Stadt Walldorf