Früher waren Walldorf und Wiesloch verträumte Städtchen. Die Lebensgrundlage war der Anbau von Wein, Hopfen, Tabak und Spargel. Heute sind die beiden Kommunen untrennbar mit den Namen weltweit führender Unternehmen wie SAP und Heidelberger Druckmaschinen verbunden.
Von Ulla Cramer
Der 26. September war für die rund 300 Auszubildenden im Werk Wiesloch-Walldorf der Heidelberger Druckmaschinen AG ein wichtiger Tag. In den vergangenen Wochen hatten sie beim Umzug in ein neues Ausbildungszentrum geholfen, das nun feierlich nach drei Monaten Bauzeit eingeweiht wurde. Über 100 Maschinen mussten umgesetzt, rund 70 Laborplätze sowie Büros und Seminarräume installiert und eingerichtet werden. Neue Heimat des Heidelberg-Nachwuchses ist die sogenannte T-Halle, die eine lange Tradition hat. „Dies war das erste Gebäude, da sdas Unternehmen 1957 in Wiesloch gebaut hat. Hier wurde der berühmte Heidelberger Tiegel gefertigt und montiert“, weiß Werner Bader, Leiter Berufliche Bildung bei dem Druckmaschinenhersteller. Der Umzug der Auszubildenden war der Auftakt der Umstrukturierungen, die am Standort Wiesloch-Walldorf mit der Verlagerung wesentlicher Unternehmensteile von Heidelberg in das größte Werk des Konzerns einhergehen.
Die Chefetage rund umVorstandschef Dr. Gerold Linzbach hat bereits den Anfang gemacht. Bis zum 31. März 2015werden insgesamt rund 500 Mitarbeiter folgen. Die Hauptverwaltung inHeidelbergwirdverkauft, erste Gespräche laufen bereits. Und auch das Vorführdruckzentrum für den Werbedruck findet in Wiesloch ein neues repräsentatives Zuhause – in dem 1995 bezogenen Ausbildungszentrum, das die Heidelberg-Auszubildenden nun verlassen mussten.
„Wir rücken näher zusammen
und erhöhen unsere Flexibilität“
Interview mit Dr. Gerold Linzbach,
Vorstandsvorsitzender von
Heidelberger Druckmaschinen
Warum haben Sie sich entschlossen, die Heidelberger Hauptverwaltung aufzugeben und mit rund 500 Mitarbeitern nach Wiesloch-Walldorf umzuziehen?
Dr. Gerold Linzbach: Das ist definitiv die wirtschaftlichste Lösung. Die Liegenschaft in Heidelberg ist stark sanierungsbedürftig und inWiesloch-Walldorf,wo die Belegschaft von 6.500 im Jahr 2007 auf heute rund 4.000 Mitarbeiter zurückgegangen ist, gibt es ausreichend Räumlichkeiten.
Ist das der einzige Grund?
Linzbach: Nein. Fast noch wichtiger finde ich es, dass wir auf diese Weise näher zusammenrücken. Wir haben nun die Chance, Bereiche und Mitarbeiter räumlich zusammenzuführen, die von den Arbeitsprozessen her zusammengehören, aber aus historischen Gründen an verschiedenen Standorten angesiedelt waren. Das erhöht unsere Flexibilität und das Gemeinschaftsgefühl.
Der Forschungs- und Entwicklungsbereich mit rund 1.000 Beschäftigten bleibt aber noch in Heidelberg?
Linzbach: Die Immobilie der Hauptverwaltung befindet sich in unserem Besitz. DieForschung und Entwicklung arbeitet in angemieteten Räumen. Das ist der Hauptgrund für diese vorläufige Entscheidung. Ich mache jedoch keinen Hehl daraus, dass ich es für sinnvoll halte, mittelfristig auch diesen Bereich nach Wiesloch-Walldorf zu holen. uc
Erfolgreicher Ausbildungsverbund
Trotz des massiven Personalabbaus der letzten Jahre hält Heidelberger Druckmaschinen die Ausbildung auf einem hohen Niveau, auch wenn aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation nur wenige der jungen Leute übernommen werden können. „Doch die meisten unserer Azubis finden schnell einen Arbeitsplatz. Da profitieren wir von unserer hochwertigen Ausbildung und der guten wirtschaftlichen Lage in der Metropolregion Rhein-Neckar“, weiß Bader. Gut entwickelt hat sich auch der Ausbildungsverbund mit mittelständischen Firmen der Umgebung, den Heidelberger Druckmaschinen 2011 startete. Mit rund 20 Unternehmen läuft die Kooperation bereits, mit 20 weiteren Interessenten ist man im Gespräch. Besonders eng ist die Zusammenarbeit mit Caterpillar Energy Solutions, der früheren MWM, aus Mannheim. Am 1. September haben auch António José Pinheiro Azevedo und Renato Filipe Torres Carvalho mit ihrer Ausbildung zum Medientechnologen Druck bzw. zum Mechatroniker begonnen. Dass die zwei jungen Portugiesen aus Wieslochs Partnerstadt Amarante bei Heidelberger Druckmaschinen einen Ausbildungsplatz gefunden haben, freut Oberbürgermeister Franz Schaidhammer ganz besonders. Denn er war es, der insgesamt 21 junge Leute aus dieser von hoher Jugendarbeitslosigkeit geprägten Region Nordportugals in die Metropolregion Rhein-Neckar geholt und beim Unternehmerstammtisch der Kommune um Unterstützung bei der heimischen Wirtschaft geworbenhat .„Und die Resonanzwarwirklich überwältigend“, berichtet er.
REWE investiert
Vier junge Portugiesen haben auch bei der REWE Südwest eine Ausbildungsplatz gefunden, die mit 1.070 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgebe rin Wiesloch ist – und einwichtiger Investor. Hauptsitz und Dienstleistungszentrum der REWE Region Südwest sind imAreal „Im unterenWald“ untergebracht, darüber hinaus betreibt das Unternehmen ein Logistikzentrum „In den Weinäckern“ in Wiesloch. „Im unterenWald“ befinden sich zu dem Verwaltung und ein Lager der zur REWE Group gehörendenPenny Markt GmbH Südwest, die rund 410 Märkte beliefert.
Der Discounter beschäftigt hier ca. 390 Mitarbeiter. Mit einem großen Sommerfest feierten beide Unternehmen jüngst eine Investitionvon insgesamt über 23 Millionen Euro in die Zukunft des Standorts. Sie flossen in die Erweiterung des Areals „Im unterenWald“ und u. a. in die Integration eines Frischezentrums und eines Tiefkühlhauses in das bisherige Trockensortiment-Lager. Die EWE Südwest (Baden-Württemberg, Saarland, Teile von Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern) ist für rund 670 REWE- und Nahkauf- Märkte zuständig. Auch bei der im Februar 2012 eröffneten Stadt-Galerie zeigt Rewe Südwest als Anker- und Generalmieter Flagge. Auf einer Gesamtnutzungsfläche von über 7.700 Quadratmetern finden die Kunden dort neben einem REWE- Markt den Elektrofachmarkt HEM Expert, einen dm-Drogeriemarkt, ein Takko-Bekleidungsgeschäft und eine Deichmann-Filiale – nur 200 Meter von der Fußgängerzone entfernt. Die Geschäfte dort haben inzwischen ihren Frieden mit dem Projekt geschlossen, mit dessenVerlauf auch Oberbürgermeister Schaidhammer und seine Wirtschaftsförderin Cornelia Schneider sehr zufrieden sind. „Wir haben in enger Zusammenarbeit mit REWE strikt darauf geachtet, dass sich dort nur Einzelhandelsunternehmen ansiedeln, die unser Innenstadtsortiment ergänzen, aber aufgrund der Kleinteiligkeit unserer Einzelhandelsimmobilien in der Altstadt keine passenden Räumlichkeiten fanden“, so der Wieslocher OB und freut sich, dass es kaum Leerstände in seiner
„City“ gibt. Auch von einem Pilotprojekt im zweiten REWE-Markt der Stadt ist erbegeistert: Unter dem Motto „REWE drive“ wird dort On und Offlinehandel kombiniert. „Abends bestellt meine Frau online, was sie braucht, und am nächsten Tag steht es fertig im Markt bereit“, beschreibt er das Angebot. „Das spart wirklich viel Zeit.“
Eine dritte Säule de Wieslocher Arbeitsmarktes ist der Finanzdienstleister MLP, der im Jahr 2001 mit seiner Firmenzentrale in die Stadt umzog, nachdem es in Heidelberg keine Expansionsmöglichkeiten mehr gab. In heute insgesamt vier Gebäuden sind auf dem MLP Campus, wie die Konzernzentrale intern genannt wird, 867 Mitarbeiter beschäftigt, darunter45 Auszubildende und Duale Studenten. „Der MLP Campus ist das Zentrum für unsere marktweit führende Aus-undWeiterbildung“, so Finanzvorstand Reinhard Loose. „An unserer Corporate University absolvierendie fast 2.000 MLP-Beraterjährlich insgesamt 25.000 Schulungstage. Gleichzeitig sitzen in Wiesloch dieVerwaltung und viele Experten, die unsere Berater unterstützen. MLP fühlt sich in Wiesloch wohl.“
Gewerbegebiet MetropolPark
Für die Ansiedlung weiterer Firmen fehlt es an großen zusammenhängenden Flächen in Wiesloch–ein Problem, das Schaidhammer mit seinerKollegin Christiane Staab, der Bürgermeisterin vonWalldorf, teilt. Seit 2002 arbeitet Walldorf eng mit Wiesloch zusammen, um als Doppelzentrum Aufgaben effektiver und effizienter zu lösen. Geteilt werden beispielsweise die Gewerbesteuer von Heidelberger Druckmaschinen, deren Produktionshallen zu einem Drittel auf Walldorfer und zu rund zwei Dritteln auf Wieslocher Gemarkung stehen, der Bahnhof, an dem nach einem gemeinsamen Besuch der beiden Stadtspitzen bei dem damaligen Bahnchef Mehdorn jetzt pro Woche über 40 ICEs und Intercitys halten, und die Vermarktung des zwei Hektar großen Gewerbegebiets MetropolPark rund um den Bahnhof, der einzigen „Reserve“, die den beiden Kommunen zu diesem Zweck noch zur Verfügung steht. Auf einer Fläche von 20.000 Quadratmetern sollen dort auf Wiesloch-Seite mehrere L-förmige Gebäudekuben mit Innenhöfen entstehen.
Auf Walldorfer Areal werden der Luxor- Filmpalast und Session Music, das mit einem sieben Stockwerke hohenVerwaltungsgebäude und einem ca. 3.000 Quadratmeter großen Megastore ein echter Hingucker und einer der umsatzstärksten Musikalienhändler Deutschlands mit fünf weiteren Filialen ist, mit dem „Metropol OfficeWalldorf“ bald neue Nachbarnbekommen. Die Karlsruher Vollack Bau invest plant die Errichtung eines Gebäudesmit einer Fläche von 4.000 Quadratmetern – und hält auch an diesem Vorhaben fest, nachdem das Areal auf der Hochwassergefahrenkarte als gefährdet eingestuft wurde und ein erhöhter Baubedarf notwendig wird. Zwei Mieterhaben schon einen „Letter of Intent“ unterschrieben. „Auch für die wenigen noch verbliebenen Grundstücke in unserem Teil des Metropol-Parks gibt es bereits Interessenten“, so Walldorfs Wirtschaftsförderer Marc Massoth.
Vorsorglich reserviert wurde auf dem Gelände ein 1.000 Quadratmeter großes Grundstück für die Errichtung eines „Kompetenzzentrums zur Zukunft des Einzelhandels“, ein Projekt, bei dem Wiesloch und Walldorf gemeinsam beim Rhein-Neckar-Kreis ihren Hut in den Ringwerfen wollen.
Mit Modellen für eine Nahversorgung im Zeitalter des ECommerce will sich der Rhein-Neckar-Kreis am baden-württembergischen Regio WIN Wettbewerb beteiligen. Ist man dort erfolgreich, fließen neben Landesmitteln auch EU Gelder. In einem solchen Kompetenzzentrum könnten große Firmen der Region wie SAP oder REWE mit ihrem Know-how punkten. Ein wichtiges Ziel wird es auch sein, lokale Händler in ein Online-System mit einzubeziehen.
Auch Firmen der innoWerft sitzen mit im Boot, ein Existenzgründungszentrum, das Start-ups aus dem IT-Bereich fördert und bei dem sich die Stadt Walldorf gemeinsam mit SAP, dem Forschungszentrum Informatik Karlsruhe (FZI) und dem Land Baden- Württemberg engagiert. „Gleich drei Unternehmen der innoWerft, die interaktive Internetplattform eiKard, der Druckservice Revoprint und die MySportWorld Plattform von GreenNatureLab, waren mit ihren Produkten beim Innovationspreis IT der Initiative Mittelstand erfolgreich“, ist Walldorfs Bürgermeisterin Staab stolz auf den Erfolg der jungen Unternehmensgründer, die hier Anker geworfen haben.
Das Thema Handel liegt ihr ohnehin besonders am Herzen. „Für fünf Jahre haben wir nun ein Förderprogramm für den Einzelhandel aufgelegt, das mit jährlich 50.000 Euro dotiert ist“, berichtet Staab. „Es soll die Handelsunternehmen beispielsweise bei Umbauten unterstützen, ist jedoch auch als ideelle Unterstützung wichtig.“
Finanzielles Engagement zeigte die Stadt auch bei dem neuen Ärztehaus und Einzelhandelszentrum an der „Drehscheibe“ in der Stadtmitte, das die Kommune selbst errichtet hat. Ein Drogeriefachmarkt, eine Bäckerei mit Café-Lounge, ein Spezialitäten- und Feinkostgeschäft sowie ein Orthopädiefachzentrum haben dort im Erdgeschoss ihre Pforten geöffnet, während die Facharztpraxen in den beiden Obergeschossen angesiedelt sind. Einen besonderen Fokus setzt Walldorf auf die Themen frühkindliche Bildung und Betreuungsplätze. So wurde vor einem Jahr die Ganztagsbetreuung in den 1. Klassen der zwei Grundschulen gestartet, die nun auch in den nächsten Klassen weitergeführt wird. Außerdem steht jeder Lehrkraft in der Ganztagsbetreuung von 11:45 bis 15:30 Uhr eine Erzieherin zur Seite. Auch aus kommunalen Mitteln wird eine Sprachförderung für Kindergarten- und Schulkinder übernommen. „Da können wir aufgrund unserer finanziellen Situation vielleicht etwas mehr tun als andere Kommunen“, weiß Staab.
Global Player SAP
Diese verdankt Walldorf in erster Linie SAP. Der Softwaregigant, der auf Platz 4 der wichtigsten Dax 30-Unternehmen in Deutschland steht und weltweit knapp 67.000 Mitarbeiter in 70 Ländern beschäftigt, hat sein Hauptquartier in Walldorf aufgeschlagen. Rund 12.500 Menschen arbeiten in den über 20 Bürogebäuden in Walldorf und St. Leon-Rot auf einer Gesamtfläche von 425.000 Quadratmetern. Diskussionen um eine mögliche Verlagerung des SAP-Unternehmenssitzes in die USA, die entbrannten, nachdem der US-Amerikaner Bill McDermott den alleinigenVorsitz des Softwaregiganten übernommen hat, sind inzwischen wieder den Hintergrund getreten. So hat McDermott, der ursprünglich sein Büro in den USA lassen wollte, seinenWohnsitz im Juli nach Heidelberg verlagert und betonte erst Anfang des Jahres: „Ich bin ein großer Freund Deutschlands – Sie haben mein Wort darauf.“
Gewerbegebiete verdichten
Der Kontakt zu den „Global Playern“ vor Ort wie der SAP und deren Partner-Port, in dem über 100 Firmen der IT-Welt arbeiten, wird von der Stadt ebenso gepflegt wie zu den übrigen rund 500 in Walldorf ansässigen Firmen. Auf der Agenda steht aktuell die Glasfaserversorgung im Gewerbegebiet Süd. Hier läuft zudem aktuell eine Umfrage, die dazu beitragen soll, dem Mangelan Gewerbegrundstücken abzuhelfen. „In Zusammenarbeit mit der LBBW Kommunalentwicklung wollenwir herausfinden, welche Grundstücke in diesem Areal nicht mehr benötigt und revitalisiert werden können“, so Marc Massoth.„Wir möchten diese Flächen gerne erwerben und sanieren “. Dass die Zusammenarbeit der beiden Kommunen in Zukunft immer enger werden wird, davon sind Staab und Schaidhammer überzeugt. Es gibt einen gemeinsamen Stadtbus, gemeinsame Ferienangebote für Kinder und auch einen gemeinsamen Unternehmertreff. Und mit dem BestWestern PalatinKongresshotel & Kulturzentrum Wiesloch mit 16Veranstaltungsräumen, einem Vier-Sterne-Hotel und einem Boardinghaus in Wiesloch und der Astoria-Halle in Walldorf gibt es auch zwei Locations, die passende Räumlichkeiten für große und kleinere Events der Region und darüber hinaus bieten.
Quelle: IHK-Magazin Rhein-Neckar, Ausgabe Oktober 2014.