Minimalistisch, dynamisch, düster
Am Donnerstag, 28. November, hat in der Stadtbücherei zum ersten Mal die Veranstaltung „Entdeckungen – live“ stattgefunden. Barbara Grabl, Gerhard König-Kurowski und Armin Rößler haben einige Titel aus dem riesigen Berg der Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt in ganz persönlicher Art und Weise vorgestellt. Einen Teil ihrer Auswahl lassen wir für alle interessierten Leserinnen und Leser nochmals mit Rezensionen Revue passieren. Heute wirft Armin Rößler einen Blick auf die Graphic Novel „Fahrenheit 451“ und auf das „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ Den Nachbericht zur Veranstaltung und weitere Besprechungen gibt es in der kommenden Ausgabe.
Der Roman „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury, 1953 erschienen, zählt heute zu den Klassikern der Science Fiction. Eine typische Dystopie wie zum Beispiel George Orwells „1984“, Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ oder auch Margaret Atwoods „Der Report der Magd“, dessen Verfilmung als Streaming-Serie in den vergangenen Jahren Kritiker- und Publikumslob erntete. Allen gemein ist ein totalitäres System, das das Individuum vieler Freiheiten beraubt und gegen das dann die jeweilige Hauptfigur aufbegehrt. In Bradburys Fall ist das der Feuermann (nicht Feuerwehrmann) Guy Montag. In seinem Roman werden Bücher als Hauptgrund dafür angesehen, dass Menschen eigenständig und nicht systemkonform denken. Deshalb gilt es als schweres Verbrechen, Bücher zu besitzen oder gar zu lesen. Die Aufgabe von Montag und seinen Feuermann-Kollegen ist es, diese Bücher aufzuspüren und zu verbrennen. Der Titel, „Fahrenheit 451“, was 233 Grad Celsius entspricht, ist die von Bradbury angenommene Temperatur, bei der Papier von allein Feuer fängt.
Zu den zahlreichen Adaptionen des Romans, von der ersten Verfilmung 1966 durch François Truffaut über mehrere Hörspiele bis hin zu Theaterstücken, kommt jetzt eine weitere Graphic Novel. Der spanische Comic-Autor Victor Santos („Polar“) bleibt in seiner Version einerseits sehr nahe an der Romanvorlage, schafft es aber auch, sie zwar getreu wiederzugeben, aber dabei nicht einfach nachzuerzählen. Er übernimmt viele von Bradburys Dialogen, dessen Beschreibungen setzt er jedoch lieber direkt in Bilder als in Worte um. So entsteht eine spannende Fassung, in der Grafiken und Texte gleichberechtigt nebeneinander stehen. Immer wieder lässt der Künstler seitenweise auch nur die Bilder für sich sprechen – wer den Roman nicht gelesen hat, mag an der einen oder anderen Stelle dadurch etwas ins Schleudern kommen, insgesamt lässt sich die Geschichte allerdings auch in dieser konzentrierten und reduzierten Version gut nachvollziehen und verstehen. Zu kurz kommt eventuell der Aspekt, dass der Gesellschaft in dieser Dystopie ihre Zwänge nicht beispielsweise von einer Regierung übergestülpt wurden, sondern dass sie sich durch einen ausufernden Medienkonsum selbst in diese Lage gebracht hat. Santos wird dazu übrigens zitiert, er könne in Bradburys Roman, trotz seiner Entstehung in den fünfziger Jahren, die Gefahren der sozialen Medien und der Fake News bereits erkennen.
Santos‘ Zeichenstil ist sehr minimalistisch, dennoch dynamisch, sehr kontrastreich und oft düster. Wenn er grellere Farben verwendet, sind das oft Referenzen an die Zeit, in der Bradburys Roman geschrieben wurde, etwa an die damals typische Mode oder Innenarchitektur, oder sie sind Anzeichen aufkommender Gefahr, für die in der Geschichte immer das Feuer steht. Jeweils zwölf kleinformatige, dennoch eindrucksvolle Panels zeigen schon auf den beiden Auftaktseiten des ersten Teils „Herd und Salamander“ das ganze Albtraumhafte dieser bedrückenden zukünftigen Gesellschaft: Bücher von Tolkiens „Hobbit“ bis zu Homers „Odyssee“ werden von starken Händen aus den Regalen gerissen, einem Scheiterhaufen gleich aufeinander getürmt und schließlich entzündet. Dem Vorgang des Verbrennens, von den Feuermännern stoisch verrichtet, spendiert Santos das erste größere Bild auf der folgenden Seite, dann richtet sich der Fokus auf Montag bei der Arbeit, dem im letzten Panel selbst die Flammen ins Gesicht zu schlagen scheinen. Danach geht es zurück zur Feuerwache, in den Feierabend und zur Begegnung mit einer mysteriösen jungen Frau namens Larisse, die den Auslöser dafür darstellt, das in Montag überhaupt Zweifel an seiner Arbeit und Umwelt entstehen. Seine eigene Frau dagegen verbringt ihre Tage damit, vor den riesigen Videoleinwänden in der Wohnung zu sitzen und Pillen zu schlucken – gleich zu Beginn der Geschichte stirbt sie beinahe an einer Überdosis Schlaf- und Beruhigungstabletten. Auch das rüttelt Montag auf und die Dinge kommen in Gang, die letztlich seine Welt in sich zusammenbrechen lassen.
Bradbury selbst hat einmal gesagt, er habe seinen Roman aus der Befürchtung heraus geschrieben, dass das Fernsehen das Interesse an Büchern zerstören könne. Insofern lässt sich natürlich schwer sagen, was er von der grafischen Umsetzung seiner Geschichte gehalten hätte. Seine Erzählung bleibt dennoch zeitlos und Victor Santos‘ Version erweist ihr alle Ehre. Die Umsetzung ist in Bild und Wort gelungen.
Text und Fotos: Stadt Walldorf