Begegnung mit einer Blaumeise
Beim Schwimmen im Badesee höre ich einen Plumps wie von einem ins Wasser geworfenen Stein und auf weite Entfernung entdecke ich ein kleines schwimmendes Wesen. Ich halte es einen Moment lang für einen Frosch, weil die ja, wenn sie sich erschrecken, schnell ins Wasser platschen, um sich zu verstecken. Das kleine Wesen eiert aber auf eine Weise im Wasser herum, dass es dort nicht heimisch scheint. Nach kurzer Zeit, in der ich immer näher komme und es besser sehen kann, hangelt es sich auf einen Schilfhalm – für Frösche sehr untypisch. Es ist sogar leicht genug, um auf einem Schilfblatt zu sitzen, ohne es zu knicken, dort schüttelt es sich jetzt und entpuppt sich als kleiner Vogel. Ich komme näher, aber nicht zu nah, weil das kleine Ding ja schon den Schock seines kurzen Kükenlebens hatte, als es ins Wasser gefallen ist. Ein Schwimmvogel ist es nämlich eindeutig nicht, sondern ein Singvogel, eine winzig kleine Blaumeise, die Miniatur einer Blaumeise. Sie sieht mich gar nicht, schaut nur irritiert aufs Wasser und tut erst mal weiter nichts. Ich würde sie am liebsten auf meiner Handfläche aufsitzen lassen und auf die Wiese auf der anderen Seite des Schilfgürtels bringen, lasse sie dann aber dort sitzen. Der kleine Überlebenskünstler hat das Schlimmste schon gut überstanden, er soll sich in Ruhe erholen und findet bestimmt seinen Weg durch das Schilf zum Gras, wo seine Eltern ihn hoffentlich finden und füttern.
Würde ich nicht übermorgen nach Island fliegen, hätte ich sogar erwogen, ihn mit nach Hause zu nehmen. Unter dem meterhohen Dach meiner Künstlerwohnung in der Scheune Hillesheim hätte er viel Platz für seine ersten Flugversuche. Trotz aller Liebe für den Piepmatz, die mich da im Wasser überkommen hat, denke ich den restlichen Abend nicht mehr an ihn. Erst mitten in der Nacht fällt mir die kleine Meise wieder ein und bei dem Gedanken, dass sie vielleicht immer noch da sitzt und nicht weiß, was sie tun soll, bin ich von Mitleid ganz erfüllt.
Text: Sanna Konda
Foto: Stadt Walldorf