Der Pianist entfachte ein Feuerwerk an Klängen
Die dritte Veranstaltung der diesjährigen Walldorfer Musiktage unter dem Motto „Arkadien in der Kurpfalz“ widmete sich den beiden Rivalen Wolfang Amadeus Mozart und Georg Joseph Vogler. Weltberühmt der eine, heute kaum mehr bekannt der andere. Völlig zu Unrecht, wie Anders Muskens, kanadischer Spezialist für alte Tasteninstrumente, begnadeter Pianist, Dirigent und Musikwissenschaftler, an diesem Abend in der Laurentiuskapelle beweisen konnte, indem er Werke Mozarts und Voglers gegenüberstellte.
Vogler stand beim Kurfürsten Carl Theodor in Mannheim in höchster Gunst und war zunächst als Hofkaplan und später – nach seiner vom Kurfürsten zu musikalischen Ausbildungszwecken geförderten Italienreise – auch als Kapellmeister beschäftigt. Mozart, der viermal in Mannheim weilte, hatte sich vergeblich um eine feste Anstellung am dortigen Hof beworben, wie Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischen Leiter der Musiktage sowie Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, dem interessierten Publikum erläuterte. Seine Bewerbung wurde abgelehnt, da keine Stelle frei war. Natürlich hatte diese Ablehnung Mozarts Neid auf Vogler geweckt. Dass Vogler, der zu seiner Zeit ein bedeutender und innovativer Komponist, Pianist und Organist war, heute weitgehend vergessen ist, ist wohl auch die Schuld Mozarts, denn er bedachte den Rivalen mit schlechten Kritiken und bezeichnete ihn als „Spaßmacher“ und einen Musiker, „den man nicht ernst nehmen könne“.
Dass dieses vernichtende Urteil heute endlich revidiert wird, ist Künstlern wie Anders Muskens zu verdanken, der sich intensiv mit Vogler und der Epoche auseinandergesetzt hat. Über Joseph Anton Sambuga, 1752 in Walldorf geboren, gibt es sogar einen direkten Bezug zur Astorstadt. Sambuga hörte Vogler in Worms Orgel spielen und berichtete von den neuen Techniken, die Voglers Spiel auszeichneten, wie die sogenannten Cluster, wobei Vogler beide Unterarme auf die Tastatur drückte und somit ein Klang-Chaos erzeugte, ein Effekt, der eigentlich erst in der Moderne zum Tragen kam.
Den Auftakt des Konzertabends machte Mozarts Sonate D-Dur KV 311/284c, die er der Tochter des Kapellmeisters Christian Cannabich, einer begabten Pianistin, widmete. Speziell der zweite Satz sollte das Wesen Roses, der „angeblich schönsten Frau Mannheims“, widerspiegeln. Entstanden ist die Sonate 1777 in Mannheim. Muskens spielte auf einem originalen Hammerflügel der Firma Stein, der um 1800 gebaut und vor zehn Jahren restauriert wurde. Auch Mozart spielte auf Instrumenten der Firma Stein. Das Publikum durfte sich also über Klänge freuen, wie sie zur Entstehungszeit der Werke tatsächlich zu hören gewesen waren. Weich und warm ließ Muskens das schöne Instrument erklingen. Der Hammerflügel erwies sich als bestens geeignet für den relativ kleinen Konzertraum in der Laurentiuskapelle. Harmonien konnten zu Tage treten, die ein modernes Instrument übertönen würde. Das Hammerklavier klingt weniger voluminös als ein modernes Klavier, dadurch geraten die höheren Töne nicht in den Hintergrund. Imponierend war auch die Klangvielfalt des Instruments, die es besonders in den Kompositionen Voglers zu entdecken galt. Manchmal glaubte man eine silbrige Harfe oder ein Cembalo, dann wieder ein Fagott zu hören oder war überrascht über das kraftstrotzende Forte des zierlichen Instruments.
In Mozarts selten zu hörender D-Dur Sonate gibt es etliche technische Herausforderungen wie das Übergreifen der Hände, perlende Läufe, Sexten-Parallelen und große Intervall-Repetitionen zu meistern, was Muskens mit spielerischer Leichtigkeit gelang. Schon mit dem ersten schwungvollen D-Dur-Akkord zog der Pianist das Publikum in seinen Bann. Herrlich floss die Musik dahin, perlten und glitzerten die schnellen Läufe im Allegro con spirito. Gefühlvoll, mit großer Ausdruckskraft ließ er den zu Herzen gehenden zweiten Satz erklingen. Perfekte Triller, eine fein differenzierte Dynamik, wunderbare Echo-Passagen und eine große Transparenz begeisterten. Schwungvoll erklang der Finalsatz und erinnerte an eine fröhliche Jagdgesellschaft. Unterbrochen wurde die heitere Musik von dunklen, hämmernden Akkorden bevor sich wieder die heitere Melodie Bahn brach und in ein grandioses Finale mündete.
Die folgenden Werke Voglers klangen vom Stil her sehr anders, virtuoser und wesentlich moderner. Vogler war weitgereist, kam von Lappland bis nach Nordafrika und liebte es – wie später auch Belá Bartók –, Volksmusik zu sammeln und diese Melodien in eigenen Werken zu verarbeiten. Aus Voglers „Pièces de clavecin“ von 1798 stellte Muskens die „Polonaise“ (Nr. 10) und „Pente Chordium“ (Nr. 6) vor. Tänzerisch erklang die Polonaise mit ihren vielen schnellen Läufen. Eine unglaubliche Klangfülle mit tiefen wummernden Bässen entstand im zweiten Stück. Imposant erklangen die Variationen über das französische Soldaten- und Volkslied „Malbrough s‘en va-t-en guerre“ (Malbrough zieht in den Krieg). Das auch außerhalb Frankreichs sehr bekannte humoristische Spottlied auf den vermeintlichen Tod des britischen Feldherrn John Duke of Marlborough inspirierte Vogler zu seinen überaus anspruchsvollen Variationen. Muskens entfachte ein wahres Feuerwerk an Klängen. Man konnte nur staunen, welche Klangfacetten und Farben er dem grazilen Instrument entlockte. Von feinsten Pianissimo bis zum Tastengewitter, von lieblichen, gefühlvoll gespielten Melodien, chromatischen Linien bis zu dramatischen Ausbrüchen, hier war einfach alles zu finden. Dabei ließ Muskens das Publikum nur so staunen, welch technischen Schwierigkeiten wie Doppeltriller und vielstimmiges Spiel – oft waren alle zehn Finger gleichzeitig in atemberaubender Geschwindigkeit im Einsatz – er mit scheinbarer Leichtigkeit meisterte.
Auch „Quarndansen: Danse Suedoise“ (Nr. 14) aus „Pièces de clavecin“ begeisterte. Voglers Stil klingt hier anders als Mozarts, zeitweilig glaubte man fast Beethoven zu hören. Die technischen Herausforderungen waren wieder immens. Besonders beeindruckten die langen Triller mit zwei Fingern in der rechten Hand, während die übrigen Finger weiterspielten. Eine ganz spezielle Vogler-Technik, wie Muskens später erläuterte. Das Publikum zeigte sich restlos begeistert und spendete reichlich Applaus und Bravo-Rufe am Ende dieses außergewöhnlichen Konzerts. Mit zwei virtuosen Zugaben, der neckischen „Air barbaresque“ und der eindrucksvollen „Air finois“ aus den „Pièces de clavecin“ verabschiedete sich der Künstler.
Es stellt sich zum Schluss noch die Frage, wer wohl den musikalischen Wettstreit gewonnen hat: Mozart oder Vogler? Vogler war auf jeden Fall ein erstzunehmender Gegner. Ein öffentlicher Klavier-Improvisationswettbewerb mit Beethoven 1803 in Wien ging gewissermaßen unentschieden aus, obwohl Beethoven sonst immer gewann. Meiner Meinung nach hat an diesem Abend in der Laurentiuskapelle Vogler gewonnen. Man muss Mozart allerdings zugutehalten, dass er nur mit einem Werk punkten durfte und das auch noch ganz zu Beginn des Abends. Eines ist auf jeden Fall gewiss: Die Entdeckung von Voglers Musik war dank des genialen Pianisten Anders Muskens ein eindrückliches Erlebnis.
Text: Carmen Diemer-Stachel
Fotos: Pfeifer