Eine Geschichte voller Schrecken, Hoffnung und Mut und Menschlichkeit
Sichtlich bewegt folgten die Besucher im Engelhorn Palais des Heidelberg Center for American Studies (HCA) den Ausführungen von Dr. Andrea Rudorff und Dr. Anja Schüler, die die neue deutsche Auflage des Buchs „Nichts als das nackte Leben“ vorstellten. Darin schildert Gerda Weissmann-Klein ihre Erlebnisse, wie sie als jüdische Zwangsarbeiterin den Holocaust überlebte und kurz darauf ihren späteren Ehemann, den Walldorfer Juden Kurt Klein kennenlernte, der als Jugendlicher in die USA emigrierte und als Soldat nach Deutschland zurückkehrte. Zwei der Kinder der Kleins, Jim Klein und Leslie Simon, nahmen mit weiteren Familienangehörigen sowie Bürgermeister Matthias Renschler und Mitgliedern des Walldorfer Gemeinderats an der Buchvorstellung teil.
Gerda Weissmann-Klein hatte ihr Buch erstmals 1957 in den USA unter dem Titel „All but my life“ veröffentlicht und es gehört dort zur Standard- und Schulliteratur zum Thema Holocaust, wie Anja Schüler informierte. Über 60 Auflagen habe es seitdem gegeben. Die promovierte Historikerin Anja Schüler hatte das Projekt der Neuauflage zu ihrer Sache gemacht, wie Professor Dr. Welf Werner, Direktor des Heidelberg Center for American Studies, in seiner Begrüßung betonte. Die Neuauflage sei Teil eines größeren Projekts gewesen, welches das HCA wissenschaftlich begleitet habe. Die Publikation sei ohne das Engagement der Kinder der Kleins nicht denkbar gewesen, sprach Werner seinen Dank aus, den er auch an alle Wissenschaftler richtete, die „ihre wissenschaftliche Expertise teilten“.
Dr. Schüler las mehrere Auszüge aus dem Buch vor und stellte diese gemeinsam mit Dr. Andrea Rudorff in den gesamthistorischen Kontext. Dr. Rudorff ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Während der Buchvorstellung wurden Fotos von Gerda Weissmann-Klein und ihrer Familie auf einer Leinwand gezeigt, historische Karten veranschaulichten die Orte, an denen Gerda Weissmann-Klein zu jener Zeit lebte. Es sind Szenen aus ihrem Alltag, die sie in ihrem Buch schildert und die das nahende Grauen greifbar machen, das einer unbeschwerten Kindheit und Jugend ein jähes Ende bereitet. Anschaulich wird die „Odyssee durch die Arbeitslager“ geschildert, die Gerda Weissmann-Klein durchmachen muss. Das Publikum erfährt viel Wissenswertes über das perfide System der Zwangsarbeit und Deportationen von Juden in Polen, nachdem die Deutschen das Land besetzt hatten. Gerda Weissmann-Klein ist in einem Lager südwestlich von Breslau untergebracht worden und muss Zwangsarbeit für die Textilindustrie verrichten. Die Schilderungen über die grausamen Zustände sind erschütternd, nicht weniger bewegend die Passage, aus der über ihre Befreiung zitiert wird: „Bei den ersten Schritten taumelte ich.“ Für sie persönlich habe das Buch wertvolle Inneneinblicke in die Lager der Nazis geliefert, so Dr. Andrea Rudorff über den historischen Wert von Gerda Weissmann-Kleins Buch. „Ich fand es verblüffend, wie exakt die Erinnerungen sind“, sagte Anja Schüler.
Zum Schluss ergriff auch Jim Klein kurz das Wort und dankte den Beteiligten für die wissenschaftliche Begleitung der Neuauflage des Buchs seiner Mutter und allen, die sich für die Aufarbeitung der Geschichte engagierten, darunter die Vertreter der Stadt Walldorf. Seine Mutter habe immer Autorin werden wollen, erinnerte sich Klein. Sie habe aber nicht geahnt, dass ihr bekanntestes Buch einmal ihre eigene Geschichte sein würde. Trotz aller Widrigkeiten, die seine Eltern hatten erleben müssen, hätten er und seine Geschwister ein sehr glückliches Zuhause erlebt, „in dem es viel Lachen gab“. Er freue sich, dass das Buch nun auf Deutsch erscheine, gerade weil für seine Mutter die emotionale Distanz zu dieser Sprache zu groß geworden sei. Jim Klein betonte, dass es in dem Buch nicht nur um den Schrecken gehe, den seine Mutter erleben musste, sondern es sei auch eine Geschichte voller „Hoffnung, Mut und Menschlichkeit“.
Text und Foto: Stadt Walldorf