Geschwister schufen wunderbare Lieder
Bei der zweiten Veranstaltung der diesjährigen Walldorfer Musiktage mit dem Motto „Wunderkinder“ standen Lieder des Geschwisterpaares Felix Mendelssohn Bartholdy und Fanny Hensel im Mittelpunkt.
Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter sowie Musikbeauftragter der Stadt, war es gelungen, Kateryna Kasper (Sopran) und Dimitry Ablogin (Klavier) für den Liederabend mit dem Titel „Ein süßes Deingedenken“ in der Laurentiuskapelle zu gewinnen.
Das junge Duo hat erst kürzlich eine international hervorragend besprochene CD mit den Werken der Geschwister Mendelssohn eingespielt. Beide stehen auch unabhängig voneinander am Anfang einer großen Karriere.
Es war ein Glücksgriff, diese beiden hervorragenden und bestens miteinander harmonierenden Musiker in Walldorf hören zu können. Mit einer Auswahl von 20 Liedern des genialen Geschwisterpaares, thematisch in fünf Teile gegliedert, bescherten sie dem Publikum einen wunderbaren Kunstgenuss. Zugleich erzählen diese Lieder teilweise auch die Geschichte dieses Geschwisterpaares. Bevor die Musik das Sagen hatte, ergriff Herrmann das Wort und versorgte die Zuhörer mit interessanten Informationen zu den Geschwistern Mendelssohn, die beide ungemein begabt schon sehr früh zu musizieren und komponieren begannen. Fanny stand allerdings aus gesellschaftlichen Gründen immer im Schatten ihres Bruders. Es galt als nicht statthaft für eine Frau, einen künstlerischen Beruf in der Öffentlichkeit auszuüben. Dabei war Fanny nicht minder begabt als ihr Bruder. Sie war eine ebenso geniale Pianistin, Komponistin und Dirigentin.
Die Geschwister verband eine fast schon symbiotische Beziehung. Fanny war zeitlebens die engste Beraterin ihres Bruders. Sie war die einzige künstlerische Instanz, die er gelten ließ. Zum Glück sind 460 ihrer Werke erhalten geblieben, die allerdings erst in den 1960er Jahren von der Familie Mendelssohn zugänglich gemacht wurden. Auch Mozart hatte eine begabte klavierspielende und komponierende Schwester. Als Kind durfte sie noch öffentlich auftreten, später nicht mehr. Von „Nannerl“ (Maria-Anna) sind leider gar keine Werke erhalten geblieben. 50 Jahre später bekam Fanny zumindest die Gelegenheit, bei den Gartenhauskonzerten der Familie Mendelssohn quasi halböffentlich zu konzertieren und eigene Kompositionen aufzuführen. Die beiden ersten Werke, die es von den Geschwistern gibt, wurden im gleichen Jahr zum Geburtstag des Vaters geschrieben und die beiden letzten Werke, die auch an diesem Abend erklangen, entstanden beide 1847 im Todesjahr der Geschwister. Felix starb nur ein halbes Jahr nach der geliebten Schwester, die plötzlich während einer Generalprobe zu ihren Sonntagsmusiken an einem Hirnschlag verstarb.
In den dargebotenen Liedern ging es um die Liebe oder die Natur und darum, wie die Natur die Seele der Menschen und die Liebe spiegelt. Fannys Lieder handeln viel von Einsamkeit, aber sie verfügt auch über viel Humor und Energie. Vertont haben beide Gedichte von Goethe, Schiller, Eichendorff, Heine und anderen. Felix´ „Auf den Flügeln des Gesangs“ eröffnete anrührend den Abend. Natürlich dachte man beim „trauten Schwesterlein“ an Fanny. Mit wunderbar gefühlvoll gespielten Klaviereinleitungen schuf Ablogin sogleich eine stimmungsvolle Atmosphäre. Der Pianist erwies sich auch als einfühlsamer Begleiter, der seinen Klavierpart differenziert und subtil gestaltete. Der jungen, aus der Ukraine stammenden Sopranistin war er ein ebenbürtiger Partner. Kasper bezauberte das Publikum sogleich mit ihrer reinen, klaren und wohlklingenden Stimme. Innig und sensibel interpretierten die beiden die Lieder der Mendelssohn-Geschwister.
Nach vier Liedern von Felix, darunter dem bekannten „Venezianischen Gondellied“, erklang mit „Harfners Lied“ das erste von Fanny. Mit lyrischer Sensibilität und weich geführter Stimme wurde Kasper der latenten Schwermut des Liedes gerecht. Klar und strahlend in der Höhe und warm und erdig in den Tiefen wusste sie ihre Stimme flexibel einzusetzen. Ablogins Klavierpart klang zeitweise wie eine Gitarre. Im zweiten Teil standen sich zwei Mailieder der Geschwister gegenüber. Fannys „Die Mainacht“ erklang anrührend traurig-sehnsuchtsvoll, während Felix´ „Hexenlied“, auch „Anderes Maienlied“ genannt, einen ganz anderen Charakter hat. Mit harten gehämmerten Klavierakkorden und aufwühlend, dramatisch und energiegeladener Stimme ließen die beiden Künstler eine Mainacht, in der die Hexen sich auf die Besen schwingen, um zum Hexensabbat zu fliegen, lebendig werden. Das Publikum wurde regerecht mitgerissen ins dionysische Geschehen. Kasper und Ablogin ließen die Funken nur so sprühen. Spontane Bravo-Rufe brachen sich Raum.
Um die Gemüter wieder zu beruhigen, gab Ablogin anschließend – anders als im Programm angekündigt – zwei Lieder ohne Worte von Felix zum Besten, zwei Miniaturen von zarter, anrührender Schönheit. Drei kleine Lieder Fannys, „Anklänge“ genannt, schufen eine verträumte, sehnsuchtsvolle Atmosphäre. Die beiden Künstler verstanden es bestens, alle Gefühlsregungen der Lieder zwischen Überschwang und Melancholie subtil auszudrücken. Im kongenialen Zusammenwirken eröffneten sie ein berührendes Farb- und Klangspektrum. Man fühlte sich ganz in die Epoche der Romantik versetzt und konnte die Intimität der Lieder geradezu einatmen.
Zum Schluss standen sich die jeweils letzten Kompositionen der Geschwister gegenüber. Fannys „Bergeslust“ klang fröhlich und hoffnungsvoll. Auch Felix´ „Altdeutsches Frühlingslied“ ist zunächst voller Hoffnung. Während der Frühling erwacht, die Schwalben wiederkehren und alles voller Freude ist, sieht es im Herzen des lyrischen Ichs dunkel aus, denn es leidet große Pein und muss von der Liebsten scheiden. Mit dem bewegenden „Nachtlied“ von Felix schloss sich der Lieder-Kreis. Das Klavier ahmt hier Glockenschläge nach, die scheinbar ruhige Singstimme fällt in chromatischen Linien nach unten ab. Das im Text beschworene Gottvertrauen angesichts Vergänglichkeit und Verlust hatte sich Felix hart erkämpft. Das Lied war 1847 unter dem Eindruck des frühen Todes seiner geliebten Schwester Fanny und nur einen Monat vor dem eigenen Tod entstanden. Nachdem die letzten Töne zart verklungen waren, setzte lange anhaltender Applaus ein. Das ergriffene Publikum bedankte sich begeistert für diesen wunderbaren Liederabend. Mozarts „Abendempfindung“ gab es dann als Zugabe noch mit auf den Nachhauseweg.
Text: Carmen Diemer-Stachel
Foto: H. Pfeifer