Von skurrilen Schildern und herzlichen Gastgebern
Stephan Orth ist in der Walldorfer Stadtbücherei kein Unbekannter. Bereits zum vierten Mal tritt der Autor mit einem seiner Bücher zur Lesung auf, wie Büchereileiterin Barbara Grabl zu Beginn des Abends erwähnt. Bekannt wurde Orth mit seinen „Couchsurfing-Büchern“. Er nutze Couchsurfing als Form des Reisens, um „mitten rein ins Leben“ der Menschen vor Ort zu kommen, erklärt Orth. Üblicherweise zieht es ihn in Regionen der Erde, die nicht sehr touristisch sind, darunter Länder wie Saudi-Arabien und Iran. Das mag für England sicher nicht gelten – zur Hochphase der Corona-Pandemie sah das jedoch anders aus.
Im Sommer 2021 machte sich Stephan Orth auf ins Königreich, das zu diesem Zeitpunkt so gut wie keine Touristen mehr beherbergte. Anlass war die persönliche Situation Orths während der Pandemie: „Couchsurfing zu Hause“, hätte der Titel seines nächsten Buches lauten können, wie der Autor humorvoll zurückblickt. Für einen überzeugten Globetrotter aber kein befriedigender Zustand. „Ich habe Reisen nie als Flucht gesehen – diesmal war es anders“, schildert er seinen Entschluss, nach England zu reisen. Die Flucht vor den eigenen vier Wänden sollte ihm ganz neue Perspektiven und dem Publikum in der Stadtbücherei einen „abwechslungsreichen, informativen und spannenden“ Abend bescheren, wie es Barbara Grabl in ihrer Begrüßung ankündigt. Denn Stephan Orth zeigt in seiner multimedialen Lesung Fotos und Videos seiner Reise und erzählt launig von seinen vielen Erlebnissen. Natürlich liest er auch einige Passagen aus seinem Buch „Absolutely ausgesperrt – Wie ich 700 Kilometer durch England reiste und immer draußen blieb“ vor.
Die größte und selbst gewählte Herausforderung sei gewesen, auf eine Unterbringung oder gar einen Aufenthalt in Gebäuden während seiner fünfwöchigen Reise durch England zu verzichten. Das schloss Verpflegung, Hygiene, Verkehrsmittel und Übernachtung mit ein. Und es fing schon unmittelbar nach seiner Ankunft in London an, berichtet Orth, der schmunzelnd zugibt, dass seine „Challenge“ erst nach einer 20-minütigen Busfahrt beginnen konnte, da es schlicht verboten war, den Flughafen zu Fuß zu verlassen.
Für seine Übernachtung im Zelt fand der Autor in der Millionenmetropole schnell Unterstützung: So sieht man auf der Leinwand in der Stadtbücherei Fotos, die sein aufgebautes Zelt im Garten eines der vielen Gastgeber zeigen. Verwunderte Reaktionen von deren Nachbarn, die sich per Kurznachricht melden, inklusive, die die Beteiligten damals und das Publikum heute zum Schmunzeln bringen.
Orth spricht ausführlich über die Menschen, die ihm während seiner Reise begegneten und ihn mit ihrer Gastfreundschaft beeindruckten. Einer von ihnen, Ben, schenkte ihm sogar ein gebrauchtes und instandgesetztes Fahrrad, was die Weiterreise erheblich vereinfachte. Der Name des neuen Gefährts war treffenderweise Free Spirit. Und als ebenfalls „freier Geist“ traf Stephan Orth im Pandemie-England auf viele Gleichgesinnte, die eine Art Aussteigerleben führen – im Zelt, auf dem Hausboot oder im Wohnmobil. Letzteres bewohnte eine junge Frau mit Hund und Katze auf dem Gelände einer still gelegten Mine. Ob das einen Einfluss auf das Verhalten der Katze hatte, kann Stephan Orth im Nachhinein nicht sagen, aber amüsant davon berichten, dass diese sein Zelt in der Nacht mehrfach attackierte.
Viele der Erlebnisse auf Orths Reise zeugen von typisch englischem Humor. Wie die zahlreichen Beispiele kreativer Verbotsschilder beweisen, die Hunden das örtliche „Geschäft“ untersagen. Überhaupt hätten die Engländer eine Vorliebe für skurrile Beschilderung: „Ich wurde vor Trollen und vor Hühnern gewarnt.“
Das ständige Draußensein habe seinen Blick verändert, findet Orth, der sich über Street-Art, Märkte, Außengastronomie und Straßenmusik freute. „Ich begann, Bänke total zu lieben“, sagt er an einer Stelle. Und: „Ich wurde ein großer Fan von Friedhöfen.“
Stephan Orth, der ein sehr liebenswertes Bild der Insel zeichnet, kommt auf Nachfrage auch auf den Brexit zu sprechen. Natürlich sei der stets ein Thema während seiner Reise gewesen. Vor allem viele junge Menschen lehnten ihn ab. Es habe aber auch Begegnungen mit Gastgebern gegeben, die diesen vehement befürworten.
Was er aus dieser Zeit mit nach Hause genommen hat, möchte jemand wissen. Für ihn sei es eine Erkenntnis gewesen, „was für eine Freude es ist, mit wenig auszukommen“. Und auch, wenn ihn der typische Alltag schnell wieder vereinnahmt hatte – er versuche, wenigstens am Wochenende mehr draußen zu sein als vorher.
Einen besonderen Rat möchte Stephan Orth unbedingt noch mit dem Publikum teilen: „Wir sollten alle viel mehr in Gärten zelten.“
Text und Fotos: Stadt Walldorf