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Sven Kemmler packt beim Zeltspektakel die großen Themen an

11. September 2022 | > Walldorf, Allgemeines, Das Neueste, Kultur & Musik

Charlotte Shatterhand trifft auf Bildungs-Duftbäume

„Dieses Programm ist klimaneutral“, verspricht eine Stimme aus dem Off, die Sven Kemmlers Auftritt im Rahmen des Zeltspektakels ankündigt. Außerdem distanziere sich der Künstler von der Weltgeschichte. Nichtsdestotrotz knöpft sich Sven Kemmler eben jene in seinem neuen Programm „Paradise Lost“ vor.

Sven Kemmler ist sicher kein „Unruheherd“ auf der Bühne wie manch anderer Vertreter aus der Unterhaltungsbranche. Vielmehr nutzt er seine Stimme, um Variation in sein Programm zu bringen. Mal hebt oder senkt er diese, wenn er es für angebracht hält. Er schlüpft in verschiedene Rollen und wechselt Sprache und Dialekt, um den Figuren Identität und Ausdruck zu verleihen. Vor allem gibt Kemmler den Erzähler, dessen sonore Stimme auch gut und gerne ein Hörbuch oder eine Dokumentation tragen könnte. An diesem Abend trägt sie vor allem Kemmlers Inhalte in die Ohren und Köpfe der wenigen Gäste im Rund des Zeltes. Sven Kemmler wechselt zwischen Erzählung, Poesie, klassischem Kabarett und Sketchen ab – mit einer Prise Gesang, vor allem zu Beginn seines Auftritts. „Ein kleiner Strauß an Bedrohungen, die wir in den letzten Monaten wahrgenommen haben“, nennt Kemmler die Themen, die er in seinem Programm unter anderem aufgreift: Krieg in der Ukraine, Inflation, Klimawandel. Und er beschäftigt sich grundsätzlich mit der Demokratie und ihrem Zustand in Deutschland und der Welt.

Das Publikum reagiert dabei oft leicht amüsiert, auch wenn nicht jede Pointe Kemmlers in laute Lacher mündet. Es scheint ihm aber auch nicht unbedingt um „Zwerchfellattacken“ des Publikums zu gehen, sondern vielmehr darum, zum Nachdenken anzuregen.

Eine aktuelle Debatte um den Umgang mit Karl Mays Winnetou greift Sven Kemmler in seinem Programm auf, indem er eine Episode daraus modern interpretiert zum Besten gibt. Winnetou ist nun Häuptling eines indigenen Volkes und bekennt sich zum Buddhismus. Old Shatterhand will als non-binäre Person fortan „Charlotte“ genannt werden. Und in Kemmlers Moby-Dick-Version wird Kapitän Ahab mit einer Crew konfrontiert, die mehr Mitspracherecht an Bord einfordert und zu diesem Zweck Parteien gründet. Kemmler bewirbt außerdem die neusten Produkte wie den Duftbaum „Bildung“, die richtige Haltung mit „One of us“ oder „DoK – Demokratie ohne Kapitalismus“ in bestem Werbesprech.

Gerne imitiert Sven Kemmler prominente Figuren aus der Politik. Zum Bespiel Frank Walter Steinmeier, den er eine Rede über Demokratie und  Freiheit halten lässt und ihn dabei der Inhaltsleere überführt. Internationalen Zeitgenossen verleiht er deutsche Dialekte, zeigt aber an anderer Stelle auch, dass er der englischen Sprache mächtig ist und entsprechende Wortspiele beherrscht, um beispielsweise die kontroversen Aussagen eines erzkonservativen US-amerikanischen Richters zu entlarven.

Im Podcast „Nachgefragt – der Talk mit den Fragen“ lässt Sven Kemmler die ehemaligen US-Präsidenten Thomas Jefferson und George Washington über die Verfassung der Vereinigten Staaten und ihre scheinbar ungerechte Anwendung in der heutigen Zeit diskutieren. Mit am imaginären Tisch sitzt dabei der deutsche Rentner und FKK-Experte Erwin Wiemels, was der Szene eine gewisse Absurdität verleiht.

Sven Kemmler will aber nicht nur mahnen und entlarven, sondern auch Lösungen anbieten. Zuerst poetisch und mit der nicht ganz ernst gemeinten Forderung: „Lasst Leberwurst und Sellerie regieren.“ Und zum Schluss schlüpft der Kabarettist in die Rolle eines imaginären Japaners – ein „eingedeutschter Manga-Roboter“, wie Kemmler präzisiert. Dieser gibt Tipps zur Debattenführung und empfiehlt, statt Wahlen ein Losverfahren abzuhalten, und holt sich Hershel Lafayette dazu. Der hat einen ganz einfachen Tipp: „Wenn du den anderen nicht auf Augenhöhe wahrnimmst, dann setzt euch hin und diskutiert es aus.“

Und mit diesem Tipp entlässt der Kabarettist Kemmler sein Publikum in den Abend, der noch ein wenig Musik auf dem Festivalgelände bereit hält.

 

Text: Stadt Walldorf
Foto: Pfeifer

 

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