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Faszination Glasmusik: Andrés Bertomeu verzauberte das Publikum mit ätherischen Klängen

17. Oktober 2021 | > Walldorf, Allgemeines, Das Neueste, Kultur & Musik, Photo Gallery

Mit der Glasharmonika oder dem Verrophon stand ein ganz außergewöhnliches und heute weitgehend vergessenes Instrument im Mittelpunkt der dritten Veranstaltung der diesjährigen Walldorfer Musiktage.

Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter der Musiktage sowie Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, war es gelungen‚ mit Andrés Bertomeu einen der weltweit wenigen professionellen und in ganz Europa bekannten Verrophon-Spieler nach Walldorf zu holen.
Auf der in stimmungsvolles Licht getauchten Bühne der Astoria-Halle konnte das schlichte Instrument, bestehend aus einem Holzkorpus mit je zehn in drei senkrechten Reihen angeordneten offenen Glasröhren in unterschiedlicher Länge, bewundert werden. Nicht der Durchmesser, sondern die Länge der Röhren bestimmt die Tonhöhe. Dadurch ist es möglich, je nach Lage mehrstimmige Akkorde zu greifen. Der Ton wird durch das kreisende Streichen mit befeuchteten Finger über die Ränder der Glasröhren erzeugt.

 

 

Das heutige Verrophon wurde 1985 von dem Glasmusiker Sascha Reckert erfunden. Der Vorläufer des Verrophons ist die von Benjamin Franklin 1761 entwickelte und heute so gut wie ausgestorbene Glasharmonika. Im 18. und 19. Jahrhundert, besonders zur Zeit der Empfindsamkeit, war sie äußerst populär. Sie verfügte nicht über Glasröhren, sondern bestand aus unterschiedlich großen, ineinandergeschobenen Schalen aus Bleiglas, die auf einer gemeinsamen waagerechten Welle lagen. Auch die Glasharmonika hatte eine Vorläuferin, die sogenannten „Musical Glasses“. Darunter versteht man in Reihen angeordneten Trinkgläser, die unterschiedlich hoch mit Wasser befüllt sind und durch kreisende Bewegungen mit dem nassen Finger am Rand zum Klingen gebracht werden. Die meisten werden sicher schon einmal eine solche Art der Tonerzeugung ausprobiert haben.

Welche Klänge Bertomeu seinem Instrument entlockte, war absolut faszinierend. Mit seiner eigenen Komposition „Variationen über ein Thema in f-Moll“ eröffnete der Musiker den Konzertabend und zog das Publikum sogleich in seinen Bann. Sphärische, feine und erstaunlich tragfähige Klänge entlockte Bertomeu den Glasröhren. Die Erzeugung von Mehrstimmigkeit und Harmonien sowie einer fein abgestuften Klang-Dynamik bereiteten ihm keine Schwierigkeiten. Zu Herzen ging dieses anrührende, melancholische Werk.

Zwischen den einzelnen Musikstücken sorgte Herrmann als Moderator für viele interessante Einblicke in die Geschichte der Glasinstrumente und berichtete über die einstmals berühmten Virtuosinnen und Virtuosen der Glasharmonika und die Wirkung ihres Spiels auf die Zuhörer. Dabei bezog er sich stets auf Quellen aus erster Hand, oft in Form von Gedichten begeisterter Konzertbesucher. Von jeher fesselte und faszinierte die Glasmusik die Zuhörer. Sie schwärmten von der „göttlichen Harmonika“, von einem „Hall aus der Welt jenseits dieses Lebens“, von „Gottes-Frieden“ und von Tönen, die „von Erdenbanden entfesseln“. Als Mittlerin zwischen Himmel und Erde wurde die Glasharmonika-Musik betrachtet.

Eine in ganz Europa gefeierte Glasharmonika-Virtuosin war die 1769 in Waghäusel geborene Marianne Kirchgeßner. Ausgebildet wurde die im Alter von vier Jahren als Folge einer Pockeninfektion erblindete Musikerin von dem Karlsruher Kapellmeister Joseph Aloys Schmittbaur. Ab 1791 bereiste sie mit ihrem wertvollen Instrument ganz Europa und konzertierte in vielen großen Metropolen. In Wien lernte sie Wolfgang Amadeus Mozart kennen, der von ihrem Spiel und den zerbrechlichen und ätherischen Klängen der Glasharmonika begeistert war. Mozart bedauerte es, sich ein solches Instrument nicht leisten zu können, schrieb aber für Kirchgeßner kurz vor seinem Tod sein letztes Kammermusikwerk, das Quintett für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Cello sowie das Adagio für Glasharmonika C-Dur, in dessen Genuss das Publikum kam. Überirdisch schön ließ Bertomeu Mozarts Musik lebendig werden. Man fühlte sich tatsächlich wie in eine andere Welt versetzt und konnte nachvollziehen, welchen Zauber diese Klänge auf die damaligen Zuhörer ausgeübt haben mussten. Der Dichter Johann Friedrich Schink schrieb anlässlich eines Konzert Kirchgeßners in Hamburg 1792 von einem Zauber, den nicht einmal ein Orchester mit Virtuosen aller Art besetzt hervorbringen könne. Alles sei „Wohllaut, reine, unverkrümmte Harmonie“. Von „Tönen der Ewigkeit“ und „Himmelslauten“ schwärmte er.

Auch Schubert, Goethe und Schiller begeisterten sich für Kirchgeßner. Die Virtuosin wurde vom Publikum tief verehrt, als eine Art Medium angesehen und in eine geradezu religiöse Aura entrückt. Es gab jedoch auch Zeitgenossen, die das Glasharmonika-Spiel kritisch sahen und ihm eine ernsthafte‚ gesundheitliche Gefährdung unterstellten. Das Spielen auf den Glasschalen galt als nervenschädigend, weil es die empfindlichen Nerven an den Fingern überreizen und Krankheiten hervorrufen würde. Ein wenig Wahrheit könnte allerdings in der Behauptung der gesundheitlichen Gefährdung stecken. Die Glasschalen enthielten nämlich Blei, welches in geringer Menge über die Haut aufgenommen werden konnte. Aus Angst vor gesundheitlichen Schäden beendete der Virtuose und Komponist Karl Leopold Röllig sein Glasharmonika-Spiel und versuchte sogar, ein Tasten-Instrument zu bauen, bei welchem man die Glasschalen nicht mit den Fingern streichen musste. Ein Klangbeispiel von Rölligs Glasharmonika-Werk bekam das Publikum mit seinem kleinen Tonstück in B-Dur zu hören. Das ruhige, andächtige Werk klang choralähnlich und erinnerte zeitweise an leise Orgelklänge. Auch der Komponist Johann Abraham Peter Scholz, bekannt durch Lieder wie „Der Mond ist aufgegangen“ und „Ihr Kinderlein kommet“, schrieb für die Glasharmonika. Wunderbar ließ Bertomeu dessen Largo in g-Moll erklingen. Erstaunlich mit welch großer gestalterischer Vielfalt der Musiker den Glasröhren die märchenhaften zarten und mystischen Töne entlockte. Ein Gespräch zwischen Herrmann und Bertomeu folgte.

Das Publikum erfuhr einiges über den Lebenslauf des Musikers, der klassisches Schlagzeug an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim studiert hat und darüber, wie er quasi durch einen Zufall zum Verrophon gekommen war. Ein befreundeter Glasmusiker bat ihn, ihn krankheitsbedingt kurzfristig bei einem Engagement in Zürich zu vertreten. Der Klang des Verrophons hatte Bertomeu sofort fasziniert und seitdem nicht mehr losgelassen.
Die Zuhörer bekamen anschließend auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, was gerne angenommen wurde.
Mit einem zeitgenössischen Werk von Fred Schnaubelt, der Petit Impression C-Dur für Verrophon endete der außergewöhnliche und inspirierende Konzertabend. Das faszinierte Publikum bedankte sich mit reichlich Applaus für diesen einzigartigen Kunstgenuss.

 

 

Text: Stadt Walldorf
Fotos: Pfeifer

 

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