Ein neues Denken braucht der Mensch
Christlich Glauben mit Hoffnungsperspektive
Glauben und Wissen sind zwei gleichberechtigte Denkweisen, die geschichtlich nebeneinander gewachsen sind. Beide sind gleichermaßen wichtig, um heute zeitgemäß und zukunftsorientiert denken und damit am Ende verantwortlich christlich leben und handeln zu können. Dieser These ging Pastoralreferent Josef Eisend in der Fastenzeit nach.
In der dreiteiligen Vortragsreihe „Glauben und Wissen“ im Pfarrheim Malsch zeigte er zunächst die Wurzeln beider Denkweisen auf. Glauben habe etwas mit „Beziehung“ zu tun: Vom Judentum herkommend sei Glaube ein Spannungsgeschehen zwischen Gott und Mensch. Die Denkweise des Wissens hingegen finde in der griechischen Philosophie und naturwissenschaftlichen Erkenntnis ihren Ursprung. Ihr gehe es darum, Dinge zu begreifen. Beide Denkweisen hätten sich – so der zweite Denkschritt von Eisend – in der Person Jesus Christus als „Widerspruch“ gebunden. In seinem zweiten Vortrag zeigte er auf, wie sich die Verbindung beider Denkweisen als christlicher Glaube im Abendland etabliert haben. Dass heutzutage wieder beide Denkweisen unterschieden, aber zugleich vereinigt gedacht werden müssten, forderte Eisend im dritten Teil seiner Ausführungen. Für ihn liegt genau darin der Grundstein eines verantwortlichen christlichen Lebens und Handelns.
Zur These des ersten Vortrages schreibt Josef Eisend selbst:
„Undenkbar mag manchen zunächst erscheinen, Glauben und Wissen sind im menschlichen Bewusstsein zwei Denkweisen. Doch beide weisen unterschiedliche Denk-Strukturen auf, haben aber beide ihre Funktion im menschlichen Leben. Zwischen 1500 und 500 v.Chr. sind sie entstanden. Voneinander unabhängig in Weltsicht und Lebensauffassung prägten sie gleichwertig nebeneinander in griechischen Städten wie auch beim Volk Israel den sozio-kulturellen Lebensalltag. Ursprünge für das Glaubens-Verständnis finden sich im Zweistromland Mesopotamien. Durch Abraham/Isaak/Jakob (Stammväter des Glaubens) und das Volk Israel erhält Glauben seine monotheistische Ausrichtung. Das Miteinander von Gott und Mensch prägt allerdings biblisch eine einseitige Zuordnung in Form von Gottes Wort, Gottes Willen und Geschichte, Kult und Symbolik auf Gott hinaus. Doch Glauben spiegelt den Denkvorgang und die Lebensweise der Beziehung des Volkes Israel auf Gott Jahwe hin wieder. Diese Beziehung ist aber wechselseitig ausgerichtet und stellt im Treue-Bund zwischen Gott Jahwe und Volk Israel das gegenwärtige Miteinander dar. Geschichtlich hat sich daraus im Judentum eine exklusive Volks-Identität und Glaubens-Gewissheit ergeben. Anders in Griechenland und Kleinasien. Dort entwickelte sich das ursprüngliche Nebeneinander der Beziehung von Götterwelt und Menschenwelt nicht zum Miteinander, sondern die Frage nach dem Urstoff von Welt und Leben bedingten ein Nebeneinander. Neben dem Götterglauben gaben solche Fragen menschlichem Denken seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine andere Denkrichtung. Naturphilosophen und Vorsokratiker wie Thales von Milet oder Heraklit sind dafür Zeugen. Schrittweise ging eine Abkehr vom einstigen Götter-Glauben vor sich. Natur und Kosmos beherrschten menschliches Denken, das durch Philosophie, Wissen und Naturwissenschaft den Hellenismus als Hochkultur hervorbrachte. Die großen griechischen Denker Sokrates, Platon und Aristoteles suchten so dem Ursprung und der Ursache aller Dinge durch ‚vernünftiges Denken‘ auf den Grund zu kommen.“
Zur These des zweiten Vortrages „Jesus, ein Mensch (biblischen) Glaubens und (griechischen) Wissens“ schreibt Josef Eisend:
„Jesus ist Zentrum beider Denkweisen. Die Existenz des Jesus von Nazareth zog die geistes-geschichtliche „Plattenverschiebung“ von Glauben und Wissen, von menschlicher und göttlicher Natur nach sich. Zugleich aber einte seine Person in einer Art „existentieller Kernschmelze“ Gott-Sein und Mensch-Sein. Diese Grund-Erschütterung wohnt als beständiger Gegensatz wie als Entwicklungs-Vermögen dem Christlichen Glauben inne. Durch die Konzilien von Nizäa (325) und Chalcedon (451) ist der in der Kernschmelze vollzogene „Widerspruch“ als Einheit in der Person Jesu Christi und zugleich Zweiheit in göttlicher und menschlicher Natur christlich festgelegt. Mittels dieser Dogmen ist „Widerspruch“ wie in Jesus Christus auch im Christlichen Glauben Faktum des neutestamentlichen Glaubens geworden. Dabei ist zu bedenken, dass mit dem Auferstehungs-Glauben ebenfalls „Widerspruch“ grundgelegt wurde. Nicht mehr von der Geburt her wird gedacht, wie bisher bei (biblischem) Glauben und (griechischem) Wissen, sondern von Jesu Tod und Auferstehung her. Dem wird Christlicher Glaube als Auferstehungs-Glaube gerecht. Jesu Existenz als Menschensohn konnte im Glauben an Abba Vater biblisch zugleich als Gottessohn gedacht und gedeutet werden. Theologisches Denken konnte so dank philosophischer Systematik und Logik von Anbeginn bei Jesus in der Heils- und Erlösungs-Deutung zum Messias-, Erlöser- und Gottes Sohn-Verständnis führen. Jesu persönliche Abba-Beziehung ergänzte biblisch die bisher kollektive Treu-Beziehung zwischen Volk Israel und Gott Jahwe. Explizites Leben und Wissen Jesu selbst fand im biblischen Glauben Eingang, und wurde nicht getrennt ‚griechisch‘ bedacht. Dies erfolgte in der Theologiegeschichte erst über die historisch-kritische Methode des 19.Jh. Verdeckt und unbewusst bedingten und bestimmten also beide Denkweisen den „existentiellen Widerspruch“ wie bei Jesus auch in der abendländischen Glaubens-Geschichte. Im Christentum rangen dementsprechend Glauben und Wissen unterschiedlich um die jeweilige Vorherrschaft im geistes-geschichtlichen Denkprozess wie auch beim politischen Handeln durch Kirche und Reich/Staat. Der geschichtsbedingten Trennung, Absonderung, Vernichtung von Sündern, Ketzern und Feinden in der Wahrheitsfrage im Glauben steht daher auch das Streben nach Verstehen genauso wie nach Einheit, Versöhnung und Vergebung sowie Friedens-Bemühungen von Kirchen und Konfessionen heutzutage gegenüber.“
Und schließlich ging es Josef Eisend am dritten Abend mit dem Titel „… schon 2000 Jahre Christentum – und jetzt?!“ um die persönliche Verantwortung wie die gesellschaftliche Mitverantwortung des Christen im 21. Jahrhundert:
„In der Nachfolge Jesu Christi haben wir bei Gegenwarts-Problemen in Kirche und Welt etwas zu sagen und zu tun. Dafür geben beide Denkweisen, Glauben und Wissen, beim Christlichen Glauben den roten Faden. Ausgehend von Jesus, der als Gott und Mensch den Widerspruch verkörpert, ist jedem Christen gleichsam diese Doppel-Identität in die Wiege und ins Taufbecken gelegt. Christ-Sein heute bedeutet, im Bewusstsein von Glauben und Wissen leben und handeln. Mittels der ‚Waagschalen-Methode‘ steht er stetig mit Glauben und Wissen, wie auch mit Glauben und Lieben ‚innerlich‘ ausgestattet den jeweils zwei Seiten widersprüchlicher Gegenwarts-Situationen gegenüber. Durch Abwägen beider Seiten kann die weiterführende Entscheidung gefunden werden. Auf den Waag-Schalen sind dabei „Festungs-Haltung“, nämlich ein Abgrenzen und Trennen sei es im Glauben oder Wissen, oder ein offenes „Insel-Verhalten“ des Ausgleichs und der Versöhnung mittels Glauben und Lieben hilfreich. Aus beidseitigem Abwägen sollte also eine Entscheidung in Christlicher Verantwortung erwachsen, die im persönlichen Alltag, genauso wie bei nationalen und globalen Problemen einer gerechten und menschenwürdigen Zukunft dienlich ist.
Bezogen auf innerkirchliche Probleme kann so auch die gegenwärtige „Gebäudekonzeption“ der Diözesan-Verwaltung für die Seelsorgeeinheit Letzenberg bedacht werden. Was ist künftigem Gemeindeleben dienlich? Kann ein redlich erstellter, architektonisch und ökonomischer Verwaltungs-Entwurf Maßgabe für Entscheidungen sein? Oder verkörpern Glaubens-Bewusstsein und Gemeinschafts-Leben vor Ort einen gewichtigen und zugleich un-berechenbaren Gegenpol gegenüber Zahlen, Berechnungen und ökonomischen Vorgaben. Ebenso kann bei Kirchen und Konfessionen berechtigt gefragt werden, haben im Einzelfall Glaubens-Lehre oder Liebes-Handeln Vorrang. Beim Kommunionempfang Wiederverheirateter ist diese Frage genauso aktuell abzuwägen, wie zwischen Pastoral und Lehre bei Teilnahme an Eucharistiefeier oder Abendmahl mit entsprechendem ‚Leib/Brot-Christi-Empfang‘. Das Liebes-Gebot sollte und könnte hier dem einzelnen Gläubigen als einigendes Band der Glaubens-Gemeinschaft hilfreich und näher sein als ein Glaubens-Gebot. Das Liebes-Gebot könnte als einigendes Band auch bei Gestaltung kirchlicher Ordnung und Hierarchie dank gemeinsamem/allgemeinem Priestertum als Grundlage einer ökumenischen Kirchen-Bewegung mehr Glaubwürdigkeit und Stoßkraft verleihen. Das Weihe-Sakrament würde dann in seiner funktionalen Bedeutung dazu beitragen, gemeinsam einen menschwürdigen und gleichberechtigten Lösungsweg erlangen für Mann wie Frau, bei verheiratet sein wie für zölibatär Lebende. Das Abwägen zwischen „Festung“ und „Insel“ kann interreligiös helfen, das Zusammenleben von Christen und Muslimen vor Fundamentalismus zu bewahren oder in profaner Gesellschaft den Umgang mit populistischen Zielen, ökonomischer Vorherrschaft oder umweltbedingter Vernichtung Probleme zielorientiert und verantwortlich angehen und gemeinsam Entscheidungen nach dem Abwägen herbeizuführen.
Gesellschafts-politisch ist auch heutzutage der Blick auf die einstigen humanistischen Zielforderungen der „Französischen Revolution“ (1789) von Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit wertvoll. Doch beim Christlichen Blick sollte kein Ausblick ohne die Forderungen vom „Konziliaren Prozess“ (1989) nach Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung erfolgen. Die einstige Freiheitsparole führte bekanntermaßen zu unserer freiheitlich demokratischen Rechtsordnung und gab der Menschenwürde ihre unveräußerliche Verankerung im abendländischen Wertedenken. In staatlichen Ordnungen des Westens hat also Freiheit ihre juristische Anwendung gefunden und gewährleistet im Wirtschaftssektor Unternehmern ihren Freiraum. Freilich kann dabei der begrenzte Freiheits-Spielraum wie bei sozialer Marktwirtschaft auch seine Negativauswirkung eines rein gewinn-orientierten Kapitalismus offenbaren, wie dies global gegenüber Entwicklungsländern der Fall ist. Karl Marx hatte gegen solchen Kapitalismus einst im „Kommunistischen Manifest“ (1848) seinen klassenkämpferischen Widerspruch erhoben, um der Gleichheit aller durch Gerechtigkeit begegnen zu können. Wirkte sich Un-gleichheit der Menschen damals klassenkämpferisch aus, scheint sie sich heute schichtspezifisch lokal wie global etabliert zu haben und driftet scherenartig zwischen arm und reich auseinander. Missstände zwischen Ober- und Unterschicht, zwischen nationalem Wohlstand und globalem Notstand sprechen dafür. Daher bedingt Nachfolge Jesu Christi gerade darin Mitverantwortung im Widerspruch beim steten kritischen Abwägen und Bekämpfen von Un-Gerechtigkeit. Hinzu kommen die gegenwärtigen Global-Probleme in der Schöpfungs-Ordnung, wie dies bei Klimaschutz, Umweltzerstörung, Rohstoffverbrauch u.a. der Fall ist. Gerade dies erfordert eine Einbeziehung Christlicher Postulate. Mächtige und Herrschende steuern zudem oftmals persönlichen und nationalen Eigennutz an, und haben weniger das Gemeinwohl der Menschheit als Überlebens-Notwendigkeit beim Handeln im Blick.
Eine weitere Verantwortungsebene der Zukunft mahnt Satya Nadalla, Chef von Microsoft, an, wenn er als künftig große Themen und Probleme „Mixed Reality“, „Quanten-Computer“ und „Künstliche Intelligenz“ nennt. Seiner Ansicht nach bedürfen diese zur menschenwürdigen Bewältigung in unserer digitalen Zukunft einzig und allein „Trust/Vertrauen“ als entscheidender Vorgabe. Solch ein benötigtes ‚Vertrauen‘ kann nach Meinung von Eisend in der Denkweise: Wissen letztlich nur ‚beim Menschen selbst‘, und beim Glauben in der „Beziehung“ (z. B. Gott-Mensch) verankert sein. Solch inneren Spannungszuständen im Verantwortungsvorgang zwischen Abwägen und Entscheiden angesichts persönlicher wie gesellschaftlicher Gegensätze und Widersprüche scheint jeder Einzelne künftig mehr denn je ausgesetzt und ausgeliefert zu sein – egal ob im Glauben oder im Wissen verankert. Der Christliche Glauben jedenfalls scheint den Christen bestens zu rüsten, wider ‚aller Hoffnung‘ im Dennoch zuversichtlich der Zukunft entgegen gehen zu können.“
Text von Thomas Macherauch