Neuer Gastkünstler der Stadt Walldorf stellte sich vor
Das hatte das Publikum wohl kaum erwartet, nachdem sich Bastian Schneider an den Tisch in der Stadtbücherei gesetzt hatte, um seine Lesung zu beginnen: Er schleuderte die Worte seines Gedichts „in Amseln“ förmlich in den Saal. Ein Stakkato-Wortgewitter, bei dem „der Sprachen Karst prescht stark die Rede“, ging hernieder, wie ein Rap klingend. Man fühlte sich wie bei einem Poetry Slam, wo auch die Art des Vortragens eine wesentliche Rolle spielt.
Bastian Schneider klärte auf. Mit diesem Text trainiere er gerne seine Stimme. Der junge Autor, der seit August auf Einladung der Stadt Walldorf für eine halbes Jahr in der Künstlerwohnung der Scheune Hillesheim wohnt, wurde aus sechzig Bewerberinnen und Bewerbern um das Walldorfer Stipendium ausgewählt, erklärte Erster Beigeordneter Otto Steinmann, der zu der ersten Lesung Schneiders in Walldorf am 1. Oktober begrüßte.
Bastian Schneider lässt durch seinen Text auch „Oachkatzerln“ springen, schließlich lebt der gebürtige Siegener seit fünf Jahren in Wien. „Fast fühle ich mich in Walldorf wie in Wien“, berichtete Schneider. Schließlich gebe es auch hier eine Ringstraße. Als „eine freundliche architektonische Begrüßung“ empfinde er das Gerüst an der Evangelischen Stadtkirche, das er von seinem Arbeitszimmer aus im Blick hat. Werkstatttexte sind es denn auch, die Bastian Schneider an diesem Abend vorstellt. Wie er bereits im Pressegespräch erklärt hatte, wolle er die Zeit in Walldorf nutzen, um eine Art „Kassensturz“ und Bestandsaufnahme zu machen.
Gerne gebe er seinen Texten von Anfang an „hochtrabende Titel als Handgeländer, an dem man sich festhält“, so Schneider. „Unscharfe Idyllen“ ist ein solcher Titel. Er arbeitet aber nicht ideengeleitet, sondern mit und an Sprache, sprachbildnerisch. Gleichklanglichkeit fasziniert ihn, was auch die vielen Alliterationen in seinem Eingangstext „in Amseln“ bestätigen mit Espen und Erlen, Platanen und Pappeln, Reben und Raben. In seinem Text „rites de passage“ setzt er sich mit dem Wort „ausstopfen“ auseinander. „Während die Vorsilbe nahelegt, hier werde irgendetwas aus einem anderen heraus genommen, beschreibt das angehängte Verb eine gegenläufige Bewegung: beim Stopfen befördert man ja irgendetwas in ein anderes hinein“, heißt es hier.
Wo Wien am wienerischsten ist, auf dem Zentralfriedhof, macht er sich mit einem guten Freund auf die Suche nach Namen für „ungeschriebene Romane“. Der Name „Ludwig Muck“ gefällt und Freund Frank wird fortan zu Muck. Klingelschilder mit inspirierenden Namen werden fotografiert und archiviert. Oft gehe er mit einem Notizblock, „kleinen weißen Zetteln“, durch die Stadt und bastle dann Geschichten. Im Wiener Kaffeehaus lässt er Stimmen und Stimmung auf sich wirken und verarbeitet diese. Bastian Schneider zieht es natürlich nicht nur in Wien, sondern auch in Walldorf, wo das „schnell erledigt“ sei, auf seine Gedanken-Gänge. Er müsse raus, weg vom Schreibtisch und wolle die Zeit seines Stipendiats nutzen, um auch Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe zu erkunden. Der präzise und hellwache Beobachter und Wortsammler dürfte auf reichhaltiges Material stoßen, das er be- und verarbeiten kann, miteinander in unerwartete Beziehung setzt und mit dem er seiner Leser- oder Zuhörerschaft kräftige Denkanstöße verpasst.
Dies durchaus mit viel Humor, wie in seinem Text „Orthokratie“ aus seinem im Februar erscheinenden Buch „Vom Winterschlaf der Zugvögel“. Hier beschreibt Bastian Schneider, der – man mag es kaum glauben – als Zehnjähriger nur mangelhafte Diktate ablieferte, wie es in seinem Heft aussah:
„… Die schönen falschen Wörter – das Mamor, der Maßt, die Maschiene – lagen massenweise massakriert auf den Seiten. An den Rändern stand eine Armee feuerrot Spalier und drohte: R und R und immer wieder R. Ein Buchstabe, der sich mir wie eine Schlinge um den Hals legte, die immer enger wurde. …“
Völlig frei darf sich der Autor, Sprachsammler und Sprachakrobat in Walldorf fühlen und Salti schlagen. Mehr von ihm ist am 14. Januar zu hören bei der nächsten Lesung in der Stadtbücherei.
Bastian Schneider in seinem Element (Foto: Pfeifer, Text: Stadt Walldorf)